Kultur: Ein Bier mit Schaffner Sokrates
Rail Yard Blues: Neues Tschechisches Kino im Thalia
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Eiskaltes Bier, sagt Petr, der Bahnhofsvorsteher, sei ein perfektes Diätmittel. Schließlich verbrauche der Körper Kalorien, um die Flüssigkeit auf Körpertemperatur zu bringen. Für die ohnehin schlanke Esmeralda klingt das überzeugend. Das Bier spielt im aktuellen tschechischen Film „Rail Yard Blues“, der in seinem Originaltitel zu Deutsch „Ich lebe noch mit Mütze, Kelle und Kleiderständer“ heißen würde, eine hervorragende Rolle. Auch bei dem Filmteam, das auf Einladung des Tschechischen Zentrums in Berlin ihren Bahnhofsfilm am Dienstag im Thalia Kino vorstellte. Man leerte während des lockeren, von Barbara Breuer übersetzten Gesprächs gemütlich ein Glas des Kulturgetränks.
Bier und Schnaps geben der skurrilen Belegschaft des böhmischen Provinzbahnhofs Zatec ihren Rhythmus vor, der im größten Hopfenanbaugebiet des Landes liegt. Dieser Rhythmus ist schwer bedächtig. Die Regisseure Pavel Göbl und Roman vejda kennen dieses langsame Lebensgefühl und haben es in die Welt, die von Bahnsteigen begrenzt wird, verlegt. Göbl hat ein Jahr lang selbst auf einem solchen Bahnhof zwischen Rangierern, Bahnhofswirtschaft und Tagträumen gearbeitet. Doch die Idee zu seinem Film kam ihm erst, als er im Theater war. Dort lief bereits erfolgreich ein Stück von René Levinský, das dem Film auch seinen Titel geben sollte. Levinský, der einzige der vier Gäste von Thalia-Programmchefin Christiane Niewald, der auf Deutsch erzählen konnte, arbeitet bei uns seit sieben Jahren als Physiker. So ist zu erklären, dass neben wirklicher auch eine Menge erkenntnistheoretischer Züge in die beschauliche Vorortatmosphäre einfahren. „Der Kern des Films ist, in der Banalität des Alltags einen Funken Philosophie aufleuchten zu lassen“, sagt Göbl. Irgendwer des Personals grübelt nebenbei immer über ein schwer zu lösendes Phänomen nach. Eben, ob Bier schlank macht oder ob ein Krokodil Wasser verspritzt, wenn es abtaucht.
Diese fast sokratische Gesprächführung, die in so wunderbarem Kontrast zum sozialistisch abgewrackten Bahnhofsmilieu steht, macht „Rail Yard Blues“ zu einem charmanten Ereignis. Franta, der den Tod seines Zwillingsbruders nutzt, um seine hoch verschuldete Identität zu wechseln, Ales, der gleich mit drei Frauen ein Verhältnis hat, oder Petr, der Philosophen-Schaffner, der auf dem Erbrochenen seines Widersachers ausrutscht und den Tod findet. In diesen liebenswerten Figuren findet sich Weisheit, Witz und Wirklichkeit.
Solche klugen, kleinen Komödien, bei denen man zuhören muss, laufen hierzulande selten. In Tschechien ist Göbls Film mit immerhin 17 Kopien gestartet und hat 30000 Zuschauer erfreut. „Damit liegen wir sogar im besseren Durchschnitt.“ Die Tschechen schätzen ihr zeitgenössisches Kino sehr. Hohe dreißig Prozent beträgt der Anteil heimischer Produktionen. Außerhalb von Festivals, für die die englischen Untertitel produziert wurden, sind tschechische Filme aber kaum zu sehen. Es fehle an einem Weltvertrieb, so die Filmleute. Sie nehmen das aber gelassen und wundern sich noch über die zwanzig Zuschauer, die ins Thalia gefunden haben. „Bei uns würde niemand in einen mongolischen Film mit vietnamesischen Untertiteln gehen“, witzeln sie tiefstapelnd und höflich. Missionarische Überzeugungen sind im Nachbarland wohltuend schwach ausgeprägt. Wollte er nicht wenigstens versuchen, seinen ungewöhnlichen Film, in die deutschen Kinos zu bringen? „Ich bin schon ein wenig faul“, so Göbl lächelnd. Am liebsten möchte er zurück nach Mähren, wo er gerade ein Haus baut. Er wäre halt ein Junge vom Lande. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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