Kultur: Ein bisschen Glück
Vor der Uraufführung von Katharina Schlenders Stück „Der Zufriedene“ am Hans Otto Theater
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Die Frage ist: Kann jemand glücklich sein, der seit langem arbeitslos ist? Dessen Lebensstandard sinkt, während sich die Sorgen vermehren? Dem das Geld nur noch für eine Bockwurst mit Ketchup reicht und nicht einmal mehr für ein romantisches Abendessen zu zweit? Kann es da wirklich jemanden geben, der damit zufrieden ist? Oder wäre das nicht vielmehr ein ziemlicher Sonderling? Ein Ärgernis gar? Ein irritierender Störfaktor im ewigen Streben nach dem berühmten bisschen Glück?
Die Berliner Autorin Katharina Schlender hat über diese Fragen ein Stück geschrieben. „Der Zufriedene“ heißt es und wird am Sonntag im Hans Otto Theater uraufgeführt. Die 30-Jährige erzählt darin die Geschichte von Kurt Gromann, einem Langzeitarbeitslosen, der es irgendwie geschafft hat, das Getöse der Welt um Ruhm und Reichtum einfach auszublenden. Er ist einer, der eigentlich jammern müsste, es aber nicht tut. Ein Mensch eben, der schlichtweg glücklich ist.
In Katharina Schlenders Stücken sind es immer wieder diese einsamen Gestalten von den Rändern unserer Gesellschaft, die im Mittelpunkt ihrer Geschichten stehen. Es sind hoffnungslos Gescheiterte wie Kirsten und Sebastian, Kurts Langzeitfreunde und ebenfalls Hartz-IV-Empfänger, die Schlender mit aller Härte, aber auch Sympathie auf ihrem rumpelnden und holpernden Weg durchs Leben begleitet, auf einer Reise, bei der sie immer wieder brutal ausgebremst werden und dennoch darauf warten, dass das Glück irgendwann vorbeigefahren käme, um sie einzusammeln.
Diese ungewollte Entschleunigung des Lebensstroms ist Katharina Schlenders Stücken eigen. Eine Art lethargisches Grundrauschen unterliegt ihren Werken, das sie vielleicht ihrer Geburtsstadt Neubrandenburg abgelauscht hat, wo noch heute das Verharren in der Langsamkeit des Alltäglichen spürbar ist. Doch schlicht die Realität auf die Bühne holen will die an der Berliner Hochschule der Künste im szenischen Schreiben geschulte Autorin nicht. Und deshalb gesellen sich zu den üblichen, von ihr entblößend beobachteten Vertretern der Alltagsgesellschaft Charaktere, die sich mit einer teils schillernden, teils irritierenden Querständigkeit vom ewigen Grundrauschen abheben. Wie der Protagonist aus „Trutz“ zum Beispiel, der sich von einem Leben unter einer Brücke am Strand mehr Freiheit erhofft als im Familienbetrieb seiner Eltern – ein Stück, mit dem Schlender 2001 den Kleist-Förderpreis gewann. Oder eben wie dieser Kurt Gromann aus dem „Zufriedenen“.
Auch er befindet sich in einer Art Warteposition, vor Jahren schon vom Arbeitsmarkt gefegt und als Mitgestalter des Bruttosozialprodukts im Grunde bereits nutzlos. Doch sonderbarer Weise ist er damit ganz zufrieden, fast glücklich sogar, was ihn letztlich zum Exoten macht in einer Welt, in der Glück entweder nur noch als hohle Kampagne daherkommt, wie in dem Motivationsseminar für Arbeitslose, das die drei Freunde besuchen müssen: „Die Stadt braucht Sie! Die Stadt besteht aus Ihnen! Das Land gehört ihnen! Sie sind das Land!“ Oder eben gleich ganz abgeschafft gehört, wie Glückstheoretiker Eckhardt Duncker sagt: „Der Unzufriedenheitsfaktor bestimmt das Bruttosozialprodukt Die Zufriedenheit gilt es zu negativieren Denn wenn wir jetzt zufrieden sind, was bedeutet dann uns Zukunft noch?“
Längst ist also der Begriff des Glücks entweder ausgehöhlt, abgegriffen, ausgequetscht oder nutzlos. Wer danach krampfhaft sucht, wie Kurts Freunde, dreht sich im Kreis. Je verzweifelter die Suche, desto schneller die Fahrt. Kein Wunder also, dass die Seinskämpfenden und Glückssuchenden – wie Sebastian Wirnitzer, Regisseur der Uraufführung, Kirsten und Sebastian bezeichnet – um den Zufriedenen Kurt kreisen wie um die ruhende Mittelsäule eines Karussells. „Kurt interessiert die von Eckhard aufgestellte Glückstheorie, dieses Streben oder Nichtstreben, nicht“, sagt Katharina Schlender. „Er will einfach nur zufrieden bleiben können.“ Da er dadurch jedoch in dieser Welt der Unzufriedenheit zum Ärgernis wird, steigt er schließlich aus und begibt sich in eine andere, recht absonderliche Daseinsform: er verwandelt sich in ein Zebra.
Schlender will keine Wertung über fragwürdige Glückskonzepte abgeben, sondern mit Kurt, Kirsten und Sebastian schlichtweg Lebensmöglichkeiten aufzeigen, die alle irgendwie ihre Berechtigung haben. Dazu gehört, dass niemand in ihren Stücken durchweg sympathisch ist, auch die scheinbaren Helden wie Gromann nicht, dessen Zufriedenheit sich auch zu einem großen Teil aus Leidenschaftslosigkeit und Ambitionsarmut speist. Zudem wird die Moral auch immer wieder aufgeweicht durch Charaktere, die anderen Wirklichkeiten entstammen: Märchenfiguren, Phantasiegestalten, Schattenwesen, die auf humorige Art und Weise Aussagen und Behauptungen in die Sphäre des Fiktiven heben.
Im „Zufriedenen“ ist es ein Clown, der die Geschichte durchkreuzt, ein echter Vertreter des launigen Maskenspiels also, der mit jedem Auftritt fragt: Kurts beneidenswerte Zufriedenheit – ist das nicht alles nur Theater? „Kurts Lebensentwurf ist trotzdem der Anfang einer Utopie“, sagt Katharina Schlender über ihren Helden. „Eine Utopie natürlich, die sich im Phantastischen abspielt. Aber muss man nicht wieder beginnen, in dieser unsrigen, gegenwärtigen Wirklichkeit Unwirkliches zu denken, in dem Glauben, dass es Wirklichkeit werden kann?“ Auch das wieder nur eine Frage. Die Antworten dazu darf man sich, wie in jedem gut gebauten Stück, dann selber suchen.
Uraufführung 30. 3., 21 Uhr. Weitere Vorstellungen: 9./12./17.4., 19.30 Uhr.
Dorte Eilers
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