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Von Heidi Jäger: Ein blühender „Nachruf“

Morgen kann der Garten der kürzlich verstorbenen Annemarie Haardt in Nattwerder besichtigt werden

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Die Brille liegt noch auf dem Tisch, neben dem Nussknacker. Die helle Wolldecke, die sie sich so gern wärmend über die Schultern zog, ruht zusammengefaltet auf dem Ohrensessel. In den bauchigen Vasen leuchtet der zweite Schnitt des hellblauen Rittersporns. Es scheint, als sei Annemarie Haardt nur mal mit ihrem Rolli ins andere Zimmer gefahren. Doch die „Foersterianerin“, die seit ihrem 34. Lebensjahr gelähmt war, hat jetzt einen Ruheplatz gefunden. Die 85-Jährige liegt auf dem Friedhof nebenan, den sie über viele Jahre in ihrer Obhut hatte. Das sich wie ein riesiges weiches Bett über den Gottesacker in Nattwerder ausbreitende Geranium hat sie selbst mit angepflanzt, rutschend auf ihrem Kniebänkchen. Denn wenn es um die geliebte Gartenarbeit ging, stellte sie ihre Krücken beiseite, legte selbst mit Hand an. Keiner konnte es so gut wie sie. Das bekamen auch Andreas Klein und seine Frau Heike zu spüren, als sie vor elf Jahren ins Vorderhaus von Annemarie Haardt zogen. In welchem Flor sich ihr Vorgarten zu präsentieren hatte, dazu gab es von der weißhaarigen Frau mit dem strengen Knoten klare Order. Die jungen Leute nahmen es locker und ihr Verhältnis zu der couragierten Gärtnerin, die bei Karl Foerster ihr lebens- und gartenphilosophisches Rüstzeug erhielt, wurde immer enger. „Für unsere drei Kinder war sie fast wie eine Oma. Nur wenn sie bei ihr Kaffee trinken und den nie fehlenden Hefekuchen loben sollten, wurde es ihnen zu langweilig“, sagt schmunzelnd Andreas Klein.

Das berühmte Kaffeekränzchen wird es auch morgen geben, wenn sich der Garten von Annemarie Haardt noch einmal öffnet. „Der Gartendenkmalpfleger Peter Herling sprach uns bei der Beerdigung vor einer Woche an, ob wir uns nicht am Tag der Offenen Gärten beteiligen möchten. Wir fanden die Idee gut, zumal es so etwas wie ein würdiger Nachruf ist.“

Erst vor etwa drei Jahren durften der Steinmetz Andreas Klein und die Restauratorin Heike Hannemann-Klein ihrer Vermieterin etwas unter die Arme greifen, was zuvor allein ihrer Freundin erlaubt war. „Sie konnte so gut wie nichts mehr machen. Es war für den Garten eine schwierige Phase. Er entglitt ihr ein bisschen, die Gehölze überalterten, die Beete verwilderten.“ Schließlich trauten sich die Kleins, mal die Schere anzusetzen, immer bemüht, alles zu belassen, wie es von Annemarie Haardt einst angelegt war. Dazu blätterten sie gemeinsam in alten Fotoalben. „Da sahen wir die Cornellkirsche als Minibusch, die jetzt riesig ist.“ Der vielbeschäftigte Familienvater ist froh, dass Frau Haardt den Leitspruch Foersters von einem Garten der intelligenten Faulen so beherzigte und Efeu und Geranium rund um ihren kleinen Berg sprießen ließ. „Ihre Küche war stockdunkel, doch wir durften den Winterjasmin nur so weit stutzen, dass ein einziger Lichtstrahl reinfiel. Bloß nichts zu sehr beschneiden, war ihre Devise.“ Am Schönsten ist der Garten im Frühjahr, wenn Cilla, Schneeglöckchen und rosa Krokusse ihre bunte Tupfendecke ausbreiten. „Gemäht werden durfte immer erst im Mai, so dass sich der Samen fürs nächste Jahr auf den Weg machen konnte.“

Andreas Klein war der Einzige, der Annemarie Haardt, die in ihren letzten Jahren immer milder wurde, im Rollstuhl durch den Garten fahren durfte. „Im vergangenen Jahr hat sie sogar noch Johannisbeeren gepflückt. Im 20-Minuten–Rhythmus musste ich ihren Rolli weiter schieben. Ernten zu können, machte ihr so viel Freude.“

Das Erbe Annemarie Haardts liegt bei den Kleins offensichtlich in guten Händen. Nicht nur im Garten. Auch in ihrer Begeisterung für den Verein der Schweizer Kolonisten, den sie begründete, konnte sie die Familie anstecken. „Wir wohnten noch gar nicht lange hier, da bat mich Frau Haardt, die umgefallenen Kreuze auf dem Friedhof wieder aufzustellen. Damit war es aber nicht getan, die Steine mussten auch restauriert werden.“ Andreas Klein übernahm die Bauleitung und wurde von der Denkmalpflege unterstützt. Inzwischen erzählen 40 Grabsteine über die Einwanderer, die in Nattwerder ihre Hauptkirche hatten. Noch fehlen die Inschriften, die alle verwittert und kaum mehr zu entziffern sind. „Doch wir haben sie nachts mit Streiflicht – dazu brauchte es die Dunkelheit – enträtselt und alle abgeschrieben.

Vielleicht werden wir sie irgendwann veröffentlichen. Jetzt geht es aber erst einmal darum, bis 2010 die Kirche zu sanieren.“ Annemarie Haardt hielt immer ihre Hände schützend über Nattwerder und sie hat hier offensichtlich den richtigen Samen gelegt.

Der Garten von Annemarie Haardt in Nattwerder ist morgen von 10 bis 16 Uhr, der Friedhof den ganzen Tag geöffnet.

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