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Kultur: Ein Botschafter zwischen Nationen und Generationen Prof. Vittore Bocchetta aus Verona bei Il Ponte

Er ist nach Potsdam gekommen, um sich Schülern im Gespräch zu stellen: der 1918 geborene Maler und Bildhauer Prof. Vittore Bocchetta aus Verona, der als antifaschistischer Widerstandskämpfer vor 60 Jahren in die KZ Flossenbürg und Hersbruck geriet.

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Er ist nach Potsdam gekommen, um sich Schülern im Gespräch zu stellen: der 1918 geborene Maler und Bildhauer Prof. Vittore Bocchetta aus Verona, der als antifaschistischer Widerstandskämpfer vor 60 Jahren in die KZ Flossenbürg und Hersbruck geriet. Die Stadt Potsdam würdigt das Engagement des 86jährigen Zeitzeugen durch eine im Mai eröffnete Ausstellung im Alten Rathaus, die noch bis zum 4. Juli Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen aus den unterschiedlichen Werkphasen des Künstlers präsentiert. Das von der Brandenburgischen Gesellschaft der Freunde Italiens e.V. „Il Ponte“ initiierte Projekt „Vittore Bocchetta. Ein Maler als Zeitzeuge“ erlebte mit dem Besuch von Prof. Bocchetta in Potsdam in dieser Woche seinen eigentlichen Höhepunkt. In verschiedenen Foren fanden zwischen Herrn Bocchetta und Oberstufenschülern des Humboldt- und des Leibniz-Gymnasiums sowie der Voltaire- und der Lenné-Gesamtschule für beide Seiten Gewinn bringende Begegnungen statt. Am Donnerstag Nachmittag trafen sich Kunstleistungskursschüler der Lenné Gesamtschule und des Humboldt Gymnasiums am Ausstellungsort, um mit HerrnProf. Bocchetta vor allem über seine Kunst ins Gespräch zu kommen. Für die Schüler, die sich im Rahmen des Projekts „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ schon seit einiger Zeit intensiv mit dem gebürtigen Sizilianers beschäftigen, muss die Begegnung mit Bocchetta so etwas wie eine Sternstunde gewesen sein. Nach einer brillanten Einführung in das Leben und Werk Vittore Bocchettas durch die Detmolder Historikerin Ingrid Schäfer waren die Schüler im Nu in einen angeregten Dialog mit ihrem eloquenten Gesprächspartner eingetaucht. Auf keine der vielen Fragen blieb Vittore Bocchetta eine Antwort schuldig: gleich ob es sich dabei um das Motiv der Einsamkeit handelte, die sein Leben und Werk wie ein Generalthema durchzieht, ob um die Erläuterung seiner unterschiedlichen Werkphasen oder um seine Erlebnisse von NS-Willkür wie auch von Gesten menschlicher Solidarität. Als Essenz stand am Ende Bocchettas Botschaft von dem Wert der alles überragenden menschlichen Individualität. Um sich die eigene geistige Freiheit und Unabhängigkeit entgegen aller Widerstände, Ungerechtigkeiten und Willkür zu bewahren, können Ungehorsam und Aufbegehren die adäquaten Mittel sein. Wer stets seinem Lehrer oder Meister folge, laufe Gefahr, nie mehr als ein Schüler zu sein. Auch wenn ihm gelegentlich der Schalk aus den Augen blitzte, war es dem Italiener sehr ernst, als er an seine jungen Gesprächspartner appellierte, sich selbst zu erkennen und konsequent ihren eigenen Weg zu gehen. Er selbst, der von sich sagt, er sei Zeit seines Lebens immer auf der Flucht gewesen, ist und bleibt ein Freigeist, stets auf der Spur seiner persönlichen Identität. Die Grauen der KZ-Inhaftierung hat Vittore Bocchetta in seinen zahlreichen Aufzeichnungen – darunter das ins Deutsche übertragene Buch „Jene fünf verdammten Jahre“ – vor allem aber in seiner Kunst verarbeitet, zu der er erst nach Kriegsende im selbst gewählten Exil gefunden hat. Die Angst des Emigranten wurde damals zum Motor seines Malens. Im Schreiben und in der Kunst fand er die Kraft, seinen Erinnerungen Gestalt zu verleihen und selbst zur warnenden Stimme gegen das Vergessen zu werden. Vittore Bocchetta, der zu den letzten Überlebenden des Holocaust gehört, ist kein gebrochener Mann. Keine Klage oder Anklage kommt über seine Lippen, sondern Visionen von einer Zukunft, an deren Gestaltung der unermüdliche 86-Jährige noch so lange wie möglich teilhaben will. Vorbilder des Typs Vittore Bocchetta, derer unsere Gesellschaft und gerade die Jugend so dringend bedarf, sind nur allzu selten. Umso nachhaltiger wirkt die Begegnung mit diesem Botschafter zwischen Nationen und Generationen, aus der eine neue Kraft für den Umgang mit dem Geschehenen erwächst. Dank schon jetzt den Schülern des Kurses „Medien und Kommunikation“ von der Voltaire-Gesamtschule, die den Aufenthalt Bocchettas in Potsdam in Bild und Ton aufzeichneten. Sobald die Dokumentation als CD-ROM oder DVD vorliegt, werden auf diese Weise im Nachhinein auch alle anderen Schüler Potsdams an der Begegnung mit dem Zeitzeugen und Künstler Vittore Boccchetta teilhaben. Gefördert wutrde das Projekt auch durch die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Almut Andreae

Almut Andreae

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