
© Andreas Klaer
Kultur: Ein „Diener aller Diener“
Sigrid Grabner stellte ihre Biographie über Gregor den Großen im Literaturladen Wist vor
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Vor gut 1400 Jahren wurde auf der Straße entschieden, wer Papst werden soll. Im Jahre 590 hatten die von schwerer Pest geplagten Einwohner Roms mit Hilfe des Klerus erzwungen, dass nach Papst Pelagius II., der Opfer der Seuche wurde, der gelehrte und in der Diplomatie nicht unerfahrene Mönch Gregor aus der hoch angesehenen Familie Ancius Bischof von Rom und neuer Papst wird. Gregor lehnte zunächst ab: „Ich bin nicht der Fels, auf den Christus seine Kirche bauen kann, sondern ein zerbrochenes Gefäß. Ich will in diesem Kloster leben und Gott dienen und sonst nichts.“ Er wollte ganz und gar ein kontemplatives Leben führen.
Die Potsdamer Schriftstellerin Sigrid Grabner, die sich immer wieder Biografien wichtiger Personen wie Gandhi oder Christine von Schweden zuwendet, hat in ihrem neuen Buch Gregor den Großen zum Hauptdarsteller gemacht. Gregor, der, wie Papst Benedikt XVI. sagte, von der Demut Gottes betroffen war, „wusste sich in einer Zeit voller Leid zum Diener aller zu machen, zum ,Diener der Diener’“. Es ist eine gewaltige Aufgabe, das Leben und Wirken der bedeutenden und facettenreichen Persönlichkeit Gregors für heutige Leser sichtbar zu machen. „Im Auge des Sturms“ versteht sich als Hinführung, Hommage und als Vergegenwärtigung. Sigrid Grabner blendet in ihrem Schreiben von historischen Büchern die Gegenwart ein, nicht aus.
Das Brandenburgische Literaturbüro lud am Dienstagabend im Literaturladen von Carsten Wist zur Premiere des neuen Buches ein, zu Lesung und zum Gespräch mit dem Germanisten Peter Walther. Für die Autorin gab es vor mehr als 20 Jahren während eines Besuchs in Rom eine unvermutet innere Begegnung mit Gregor: „Er hat sich in mein Leben eingemischt, und ich habe versucht, mich ihm anzunähern. Auf den ersten Blick mag er sich in der heutigen Zeit fremd ausnehmen, doch bei näherem Kennenlernen erleben wir einen erstaunlichen Menschen, der uns Wesentliches zu sagen hat.“
Die Quellen, so Sigrid Grabner, fand sie vor allem in den Werken Gregors, der später neben Augustinus und Hieronymus zum Kirchenlehrer aufstieg. Er verfasste Predigten, Kommentare zum Buch Hiob aus dem Alten Testament, revolutionierte die Liturgie in den Messen. Mehr als 800 Briefe haben sich erhalten, die Gregor an Bischöfe, Fürsten, Missionare schrieb. Sie beschäftigen sich mit Themen wie Theologie, Moral, Politik, Diplomatie, Mönchstum, bischöfliche und päpstliche Verwaltung und geben Aufschluss über Gregors Charakter und seine Amtsführung. Auch zahlreiche Biografien, die erst Jahrhunderte nach dem Tod des Papstes verfasst wurden, las die Autorin. „Im Jahre 800 war Gregor in Rom schon vergessen.“ Das Material sei insgesamt sehr spröde, erzählt Sigrid Grabner. Und so habe sich die Person Gregors beim Schreiben dem rein Sachlichen widersetzt. „Ich habe mich entschieden, neben dem Faktenmaterial, das Grundlage des Buches ist, eine Mischung von erzählendem Charakter und essayhaften Zügen einzubringen.“
„Im Auge des Sturms“ ist keine trockene Wissensvermittlung, das der Nicht-Historiker wohl nach wenigen Seiten des Lesens wieder aus der Hand legt. Im Gegenteil. Man wird hineingenommen und nicht losgelassen. Ein faszinierendes Kapitel der Weltkulturgeschichte wird lebendig, spannend und atmosphärisch dicht. Und Sigrid Grabner bekennt: „Mein Bild von Gregor wird unvollkommen bleiben wie das jedes Menschen, mit dem ich je befreundet war.“
Peter Walther sieht in dem Buch Parallelen zur Gegenwart, als einen Einspruch gegen ihren Hochmut. „Der Osten fällt Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts – in einer Zeit inneren Verfalls – in sich zusammen. So wie im 6. Jahrhundert das Römische Reich. Er war moralisch korrumpiert und erstickte am eigenen Gift.“ Die Schriftstellerin fand durch Zufall einen Text von Gregor dem Großen, der von großer Aktualität war und ist: „Denn alles, was wir zum Lebensunterhalt empfingen, haben wir in schuldhafter Weise missbraucht, doch alles, womit wir Missbrauch getrieben haben, wendet sich zur Strafe gegen uns. Die Friedensruhe unter den Menschen haben wir in nichtige Sicherheit verkehrt.“ Klaus Büstrin
Sigrid Grabner, Im Auge des Sturms, Biographie, Sankt Ulrich Verlag, 19.90 €.
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