Kultur: „Ein Erlebnis, das man sonst nicht hat“
Konrad Junghänel über den Spielort Friedenskirche und das Oratorium „Jephtha“ / Premiere am Freitag
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Herr Junghänel, die Potsdamer Winteroper feiert in ihrem neunten Jahr eine besondere Premiere. Statt wie bisher im Schlosstheater des Neuen Palais, gastiert sie jetzt in der Friedenskirche Sanssouci. Für Sie als musikalischer Leiter mehr Herausforderung mit Tücken oder doch eher eine reizvolle Aufgabe?
Eine sehr reizvolle Aufgabe, die gleichzeitig aber auch eine Herausforderung ist. Wir sind hier in einer Kirche und nicht in einem Opernhaus. Dadurch haben wir eine ganz andere akustische Situation, mit der wir umgehen müssen. Nun kenne ich die Friedenskirche schon von früheren Konzerten, aber durch unseren Bühnenaufbau, der einmal komplett längs durch das Kirchenschiff geht, ergeben sich ganz neue Konstellationen. Das Orchester sitzt an der Stirnseite, die Sänger sind auf der Bühne ständig in Bewegung. Da kann es passieren, dass so ein Sänger mal nur einen Meter vom Publikum entfernt ist, das Orchester aber zehn Meter. Hier die richtige Mischung und das Zusammenspiel zu gewährleisten, dass ist die größte Herausforderung.
Da bevorzugen Sie dann wohl doch lieber die Arbeit im klassischen Opernhaus?
Das kann ich so nicht sagen, denn ich habe einige Erfahrung mit Inszenierungen an ungewöhnlichen Orten. Deutschlandweit werden derzeit viele Opernhäuser renoviert, da braucht es Ausweichstandorte. Und nach meiner Erfahrung sind diese ungewöhnlichen Spielorte fast immer ein Gewinn für das Publikum. Denn das Publikum liebt es, auch mal aus dem starren Guckkastensystems der Opernhäuser herauszukommen und viel näher am Geschehen zu sein. Hier in der Friedenskirche, wo ja noch ein Chor dazukommt, ist das Publikum buchstäblich mitten im Klang drin. Das ist ein Erlebnis, das man sonst nicht hat.
Am Freitag bringen Sie mit „Jephtha“ ein Oratorium zur Aufführung. Die alttestamentarische Geschichte vom Feldherrn Jephtha, der für den göttlichen Beistand bei einem erfolgreichen Feldzug kurz davor steht, seine eigene Tochter zu opfern. Haben Sie sich für ein Oratorium entschieden, weil Sie in einer Kirche spielen?
Als die Organisatoren der Winteroper auf mich zukamen, um mit mir wieder zu inszenieren, entstand die gemeinsame Idee, ein Oratorium in der Kirche aufzuführen. Und da habe ich gesagt: Ja, wunderbar. Wir machen „Jephtha“.
Warum ausgerechnet dieses, kaum bekannte, Oratorium?
„Jephtha“ ist für mich eines der absoluten Höhepunkte der Kompositionskunst von Händel. Es gehört mit zu seinen allerbesten Stücken. Dieses Oratorium ist hochdramatisch und mit den besten Chören, die Händel geschrieben hat. Und auch die Arien sind von einer fast unglaublichen dramaturgischen Bandbreite. Und ich will dieses Oratorium schon seit 20 Jahren auf die Bühne bringen.
„Jephtha“ war das letzte Oratorium, das Händel geschrieben hat.
In der Zeit, in der er „Jephtha“ schrieb, ist Händel fast erblindet. Er musste deshalb sogar die Arbeit unterbrechen. Und wir wissen aus seinen Aufzeichnungen auch genau wann das war, als er nämlich den Chor „How dark, O Lord, are Thy decrees“ im zweiten Akt schrieb. Dieses Leiden, das schlägt sich auch in dem Oratorium nieder.
Händel schrieb „Jephtha“ 1751, acht Jahre vor seinem Tod. Spiegelt sich in diesem Oratorium also auch seine Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Ende wider?
Ja, da ist sehr viel Schwere drin, die bei ihm sonst nicht so vordergründig zu finden ist. Bei Händel war immer sehr viel Italienisches enthalten. Aber zum Ende wurde sein Leben durch die Krankheit immer schwerer. All das findet sich in der Musik. Aber es ist eine positive Schwere,die er hier verarbeitet hat.
Ohne Bezug zur Gegenwart ist jede Aufführung sinnlos, ist eine Aussage von Ihnen. Was bedeutet das für die Musik von Händel?
Ich lebe nicht im Museum. Auch wenn ich mich der sogenannten historischen Aufführungspraxis verpflichtet fühle. Aber das hat nur den Grund, weil wir davon überzeugt sind, dass wir, wenn wir die stilistischen Mittel wie damals anwenden, die Musik viel aufregender, viel besser spielen. Würden wir uns mit dem Klangideal des 19. Jahrhunderts dem Werk von Händel nähern, wäre die Musik eine bleierne, schwere und langweilige Angelegenheit. Das ist der einzige Grund. Denn die historische Aufführungspraxis macht diese Musik wieder für uns hörbar. Sie wird so moderner, zeitgemäßer, weil wir viel mehr damit anfangen können. Musik ist Leben. Und sie muss immer etwas in uns auslösen, sie muss berühren. Das war schon immer ihr Credo: unsere Seele zu berühren.
Für die Winteroper arbeiten Sie mit der Kammerakademie Potsdam zusammen, die auf modernen Instrumenten spielt. Also bei den Streichinstrumenten keine Darm-, sondern Stahlsaiten. Wie kann da noch von historischer Aufführungspraxis die Rede sein?
Ich arbeite hauptsächlich mit modernen Orchestern. Und ich empfehle den Musikern immer, bei den Instrumenten zu bleiben, mit denen sie sich im Schlaf auskennen. Also keine Experimente mit historischen Instrumenten, denn solch ein Instrument ist ja nicht einfach nur ein externes Werkzeug, sondern Teil des Musikers. Ich versuche dann, die historischen Spielweisen so weit wie möglich umzusetzen.
Wie sieht diese Umsetzung aus?
Das Entscheidende ist ja wie ich beispielsweise eine Geige spiele. Das ist jetzt natürlich etwas provokant, aber ich sage immer, ein moderner Geiger übt vor allem die linke und ein Barockgeiger vor allem die rechte Hand. Ein moderner Geiger versucht ganz virtuos von oben nach unten und wieder zurück über das Griffbrett zu gehen. Der Barockgeiger dagegen versucht sehr differenziert mit dem Bogen aus dem rechten Handgelenk heraus zu arbeiten. Dazu kommt das Bewusstsein über die Streichgeschwindigkeit, denn der Barockbogen ist viel kürzer. Das Vibrato ist stark reduziert, wird viel bewusster eingesetzt. Das alles sind Dinge, die man bis zu einem gewissen Punkt auch mit modernen Instrumenten umsetzen kann.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Premiere von „Jephtha“ am Freitag, dem 22. November, 19 Uhr, in der Friedenskirche Sanssouci. Weitere Aufführungen am Samstag, dem 23. November, Freitag, dem 29. November, Samstag, dem 30. November, und am Sonntag, dem 1. Dezember, jeweils um 19 Uhr. Karten sind erhältlich an der Theaterkasse des Hans Otto Theaters und unter Tel.: (0331) 98 11 8
Konrad Junghänel, geb. 1953 in Gütersloh, ist seit 30 Jahren Dirigent vor allem bei Opernproduktionen des Barock und der frühen Klassik. Zuvor war er als Lautenist international erfolgreich.
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