Kultur: Ein Fall des Zufalls?
Der „Tag von Potsdam“ gilt als geschickte Inszenierung der Nazis. ZZF-Chef Sabrow sieht dies anders
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Die Welt lebt von Mythen. Und Historiker sind es, die solche „Überlieferungen“ gerne wieder zertrümmern. Wenn sich nun in Potsdam über den angedachten Wiederaufbau der Garnisonkirche die Gemüter erhitzen, dürfte ein neuer Blick auf den so genannten „Tag von Potsdam“ von Interesse sein. Zumal gerade die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes allenthalben angemahnt wird.
Allgemein wird der 21. März 1933 als publikumswirksame Inszenierung der Nationalsozialisten betrachtet, ein Glanzstück der NS-Propaganda, das den Schulterschluss der neuen Machthaber mit den alten Eliten – Adel, Bürgertum, Kirche und Militär – des einstigen Kaiserreichs durch den Händedruck von Hindenburg und Hitler tradierte. Der Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), Prof. Martin Sabrow, war es nun, der gestern zum Auftakt eines zweitägigen Symposiums 75 Jahre nach dem geschichtspolitischen Ereignis mächtig an dessen Mythos kratzte. Seien doch Hitler und Goebbels mehr oder weniger in diesen Tag hinein gestolpert, die Inszenierung eher von Improvisation im rechten Augenblick getragen gewesen und die Bedeutung des Händedrucks erst nachträglich durch die Propaganda evoziert worden. Der Tag sei eben nicht jene „Großtat politischer Illusionskunst“ gewesen, zu der er bis heute verklärt werde.
Sabrow spricht vielmehr von „zufälligen Bedingungen einer Gelegenheitspolitik“, die eher auf sich plötzlich ergebenden Möglichkeiten als auf akribischer Planung beruhte. Außer Frage, Hitler brauchte den symbolischen Schulterschluss mit Hindenburg, um mehr Rückhalt in der Bevölkerung gerade auch unter den konservativen Eliten zu erhalten. Denn bei den Wahlen vom 5. März 1933 hatte die NSDAP die absolute Mehrheit verfehlt und war auf eine Koalition mit den Rechtsnationalen angewiesen. Zum anderen verlangte das geplante Ermächtigungsgesetz eine Zweidrittelmehrheit im Reichstag. Was läge da näher als sich gerade in der ehemalige Residenzstadt Potsdam zur Eröffnung des Reichstages in Zivil und mit geneigtem Haupte Hindenburg symbolisch zu unterwerfen. Auch um vorzutäuschen, dass die Konservativen Hitler noch in der Hand hätten. Den Bürgerlichen, die das radikale Auftreten Hitlers abschreckte, sollte dadurch suggeriert werden, dass Hindenburg immer noch das Heft in der Hand habe.
So zumindest liest sich bislang die Zeitgeschichte. Doch für Sabrow, der sich seit Jahren mit den historischen Quellen zu dem Ereignis auseinander setzt, erscheint der Tag in einem anderen Licht. Ein Sturm im Wasserglas, so der Historiker. Denn die eigentliche Eröffnung des Reichstages habe nicht in Potsdam sondern in der Kroll-Oper stattgefunden, dem Gottesdienst in der St. Peter und Paul Kirche blieben Hitler und Goebbels fern. Im Zentrum des Tages habe der umjubelte Hindenburg mit seinem Triumphzug gestanden. Hitler fühlte sich indes im Frack eher unwohl, den Zylinder hatte er schon zuvor verloren: von durchplanter Inszenierung keine Rede. Doch, und das trifft sich wieder mit der herkömmlichen Überlieferung dieses Tages, Hitler und seine Paladine haben laut Sabrow die „relative Niederlage“ des 21. März sofort in einen symbolpolitischen Triumph nationalsozialistischer Propaganda gewendet. Schon zwei Tage später wurde in den Reden vor der Abstimmung zum Ermächtigungsgesetz, das die Diktatur zementieren sollte, auf den symbolischen Akt von Potsdam wiederholt Bezug genommen.
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