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Kultur: Ein farbenfroher Schlüssel zum Leben

Mund- und Fußmaler sind bis Samstag bei einem Workshop in der Galerie am Neuen Palais

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Sonnenblumen leuchten auf der Staffelei. Seine Lieblingsblumen. Behutsam führt er mit den Füßen den Pinsel, setzt einige Tupfer Grün dazu. Dann verschließt er ganz geschickt die Farbtube. Sein Körper liegt dabei gekrümmt auf einer Liege. Kann man so malen? Günther Holzapfel kann. Schon seit seiner Kindheit hat sich der schwerstbehinderte Mann aus Bayern der Kunst verschrieben. „Neben Sonnenblumen und Rosen sind Schneelandschaften meine Spezialität“, bemüht er sich am Rande eines Workshops in der Galerie am Neuen Palais zu erzählen. Sechs Fuß- und Mundmaler aus ganz Deutschland sind dort bis Samstag zu Gast, um sehr konzentriert unter Anleitung der Malerin Monika Sieveking ihre Technik zu verfeinern und um sich auszutauschen.

Günther Holzapfel kam als Sechsmonatskind mit einer Geburtsverletzung auf die Welt. „Es war eine Hausgeburt. Ein Arzt war weit und breit nicht aufzutreiben“, so seine Schwester Waldfride. Man schrieb das Jahr 1942. „Wir mussten aufpassen, dass unser jüngster Bruder nicht vergast wird. Ein Arzt sagte damals zu meiner Mutter: ,Wie kann man so etwas nur aufziehen?’“ In der Dorfgemeinschaft habe man ihn jedoch geliebt. Die Schule blieb ihm dennoch verschlossen. „Es waren andere Zeiten.“ Also brachte sich der pfiffige Junge das Lesen selber bei. Zu Weihnachten schenkte ihm die Volksschule einen Malblock und Stifte. Das war wohl der Beginn seiner lebenslangen Liebe. „Heute ist Günthers größtes Problem der volle Terminkalender. Er hat so viele Vorführungen, und immer kommen neue Anfragen dazu. Günther malt gern vor anderen Leuten. Er ist ungeniert, leutselig und lebenslustig. Das ist sein Naturell.“

Auch der neben ihm im Rollstuhl sitzende Lars Höllerer macht einen sehr munteren Eindruck. Er malt den Frühling; duftige Blütenzweige. Der bemützte Maler möchte noch mehr Impressionen hinein legen, sich nicht im Detail verlieren. „Die Zweige sind das Wichtigste“, erklärt ihm Monika Sieveking, „die Japaner studierten sie jahrelang, bevor sie sie dann in zwei Strichen aufs Papier bringen. Aber die sitzen.“ Mit solchen Anregungen lasse es sich sehr gut arbeiten, obwohl man sich wie ein kleiner Anfänger fühle, meint Lars. Doch das Anfänger-Stadium hat er längst hinter sich gelassen. Seine Bilder waren inzwischen schon in zahlreichen Ausstellungen zu sehen, und sein „Lavendelfeld“ brachte bei einer Versteigerung sogar 1750 Euro.

Der vom Bodensee angereiste Lars Höllerer ist seit 1991 von der Schulter abwärts gelähmt. Er kann nur den Kopf bewegen. „Ein Motorradunfall. So ist das Leben. Es hätte auch anders passieren können. Ich hatte noch Glück im Unglück, habe von der Familie, den Freunden viel Positives erfahren.“ Um so zu denken, habe er Jahre gebraucht. Am Anfang war er immer wieder von Selbstmordgedanken besessen. Zur Malerei kam er über die Ergotherapie. Manchmal hätte er den Pinsel am liebsten in die Ecke geworfen, wenn es nicht so klappte. „Zuvor hatte ich ja nur Weihnachten und Ostern meinen Eltern ein Bild gemalt, weil Selbstgemachtes eben am besten ankam und nichts kostete.“ Nach und nach kam die Leidenschaft. Lars studierte an einer privaten Kunstakademie in Mühlhofen: vor allem Porträt- und Aktmalerei. Hier in Potsdam konzentriert er sich nun auf Kirschblüten, so wie seine Freundin auch. „Da sie öfter mal rumgemotzt hat, sagte ich ihr, sie solle es doch selber mal probieren.“ Die junge Frau malt mit den Händen, hat keine Behinderung. Doch auch so ist aller Anfang schwer. Lars wollte ursprünglich Bauzeichner werden, hatte die Lehrstelle schon in der Tasche. Jetzt ist es Cezanne, dem er seine Geheimnisse abzutrotzen versucht. Er kann sich damit Zeit lassen, denn es gibt keinen Druck, der auf ihn lastet.

Wie für Lars Höllerer ist es allen Fuß- und Mundmalern wichtig, dass sie für ihr Geld nicht bitten und betteln müssen. Über ihre Vereinigung sind sie sozial abgesichert und bekommen monatliches Gehalt. Es setzt sich u.a. aus den Erlösen der Oster- und Weihnachtskarten zusammen, die weltweit an Haushalte verschickt werden. Die Motive mögen manchem bieder erscheinen, aber hinter der Veröffentlichung steht ein weltweites Netz, in dem 80 Länder mit insgesamt 700 Künstlern vertreten sind. „Da müssen die Geschmäcker auf ein bestimmtes Mainstream reduziert werden. Aber wir wollen durchaus allmählich das Produktspektrum verändern, doch das ist kein Prozess, den ein einzelner Verlag gehen kann und das ist auch nicht von heute auf morgen machbar“, so Helmut v. Stackelberg von der Agentur sympra, die die Grußkarten, Adressbücher oder Kunstbände in Deutschland vertreibt. „Gerade Lars hat sehr schöne Aktbilder, die würden sicher auch viele junge Leute ansprechen.“

Gegründet wurde die Vereinigung der mund- und fußmalenden Künstler 1956 auf Initiative von Arnulf Erich Stegmann, der durch eine Kinderlähmung seine Arme und Hände nicht gebrauchen konnte und sich fußmalend zu einem ausgezeichneten Künstler entwickelte. Ihm war es wichtig, dass die Mund- und Fußmaler selbst ihren Unterhalt verdienen und nicht auf Almosen angewiesen sind. Heute bekommen die Künstler anfangs ein Stipendium, später ein festes Gehalt. „In Deutschland sind acht Künstler bei uns organisiert. Wahrscheinlich würden es viel mehr sein, wenn sie von uns wüssten. Aber bislang haperte es noch mit der Öffentlichkeitsarbeit“, so Helmut v. Stackelberg, der inzwischen schon Verbesserungen sieht. Und dazu gehört sicher auch dieser Workshop, der die Künstler ins Gespräch bringt, ihnen neue Impulse für die Arbeit gibt.

So auch der attraktiven Frau mit dem kurzgeschorenen Haar, deren aparter Fußschmuck sofort ins Auge sticht. Wenn sie erzählt, unterstreicht sie die Worte mit ausholenden Beinbewegungen. Antje Kratz wurde 1961 geboren, ohne Arme und Hände. Sie ist Contergan geschädigt. Trotzdem kann sie fast alles alleine machen, sogar Auto fahren. Als Kind ging sie zum Ballett, hatte viele Freunde, wurde nie ausgegrenzt. Wut auf die Pharmazie oder auf ihre Mutter habe sie nie gespürt. „Ich habe mir den Kopf nicht heiß gemacht, bin auch ziemlich selbstbewusst.“ Sicher auch durch ihre Malerei. „Es ist einfach toll und bereichernd, ein Bild wachsen zu lassen.“ Dass sie ihr geliebtes, selbst bestimmtes Spiel mit den Farben zum Beruf werden ließ, lag an einem Volontariat beim Theater in ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main. Der dortige Bühnenbildner nahm sie unter seine Fittiche. Von da an war ein Leben ohne Malen nicht mehr vorstellbar. Theatermalerin konnte sie nicht werden, die Bilder sind zu riesig für ihren Aktionsradius. Dafür malt sie Landschaften, vor allem italienische, dort wo sie vor gut 20 Jahren auch heiratete und wo es sie immer wieder hinzieht. In der Potsdamer Galerie feilt sie indes an einem Stillleben mit diversen Tuben und Pinseln. „Ein ziemlich schwieriges Motiv. Ich werde sicher bis Samstag daran arbeiten. Schließlich möchte ich am Ende sagen: ,Es ist ein tolles Bild geworden.’“

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