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Kultur: Ein Feiertag für das Pathetische?

Zum zehnten Mal Festkonzert zum Tag der deutschen Einheit in der Nikolaikirche

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Die Nikolaikirche steht nicht nur in der Mitte Potsdams, sie ist auch zu einem Zentrum geworden, wenn Kirche, Stadtverwaltung und Landesregierung sich mit geladenen Gästen erinnern wollen, wenn sie feiern und loben möchten – auch sich selbst. Zwei Vereine, die in der Landeshauptstadt fest verankert sind, haben bereits zum zehnten Mal ein Festkonzert zum Tag der deutschen Einheit in der Nikolaikirche initiiert: Musik an St. Nikolai e.V. und der Bonn-Club Potsdam e.V.

Die große Kuppelkirche fand zur diesjährigen Feier nicht die überragende Resonanz. Viele freie Plätze im Kirchenschiff musste man konstatieren, die Emporen waren überhaupt nicht oder spärlich besetzt. Man sah unter den Konzertgästen neben Politikern, zumeist aus der Stadt, besonders viele Besucher aus Westdeutschland. Die „einfachen“ Potsdamer selbst waren zur diesjährigen Feier nicht so stark vertreten wie sonst. Man sollte nicht übersehen, dass so mancher ein bisschen desillusioniert, ein bisschen frustriert ist nach 16 Jahren Leben in Freiheit und in der Demokratie. Um diese beiden Güter wohlwissend, ließ Dirigent Björn O. Wiede am Montagabend einen „Lobgesang“ anstimmen.

Felix Mendelssohn Bartholdy nannte so seine Sinfonie Nr.2 in B-Dur op. 52, die 1840 zum 40jährigen Jubiläum der Erfindung der Buchdruckerkunst in Leipzig uraufgeführt wurde. Vor 25 Jahren, als die Nikolaikirche Anfang Mai 1981 wieder eingeweiht wurde, musizierten die Kantorei der Erlöserkirche sowie ein Orchester unter der Leitung von Friedrich Meinel diese sinfonische Kantate.

2006 wurde sie vom Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt an der Oder gemeinsam mit dem Nikolaichor Potsdam sowie dem Jungen Vocalensemble Potsdam und den Herren des Knabenchores der Singakademie Frankfurt (Oder) aufgeführt. Die stattliche Verstärkung kam dem Nikolaichor sehr zugute, denn der Klang wirkte frisch und gewann an größerem Volumen. Aber wiederum nicht soviel, dass er sich oftmals gegen das engagiert auftrumpfende Staatsorchester behaupten konnte. Björn O. Wiede vermochte nicht immer eine Balance zwischen Sängern und Musikern herzustellen. Vor allem von den Bläsern hätte man mehr Zurückhaltung gewünscht. Natürlich verführt das festlich-pompöse Werk mit der Hauptaussage „Alles was Odem hat, lobe den Herrn“ zu einem kraftvollen und zupackenden Musizieren. Doch etwas weniger davon hätte dem Ganzen das Pathos genommen. Leider war vom Chor auch wenig Text zu verstehen, ausgenommen beim bekannten Choral „Nun danket alle Gott“. Björn O. Wiede konnte sich wiederum auf Gesangssolisten verlassen, die tonschön und intensiv ihre Partien zum Besten gaben: die Sopranistinnen Christine Wolff und Ulrike Staude sowie der Tenor Matthias Bleidorn.

Vor dieser imposanten sinfonischen Kantate Mendelssohn Bartholdys erklang eingangs das Vorspiel zu Richard Wagners deutschen Feieroper „Die Meistersinger von Nürnberg“. Auch hier war wieder durch die dick aufgetragene Wucht der Wiedergabe viel Pathetisches zu vernehmen. Doch nicht nur Lobgesänge verträgt der Tag der deutschen Einheit. Er ist auch einer, der zum Nachdenken anregt. Neben dem Mendelssohn-Opus hätte ein musikalisches Werk in das Programm gepasst, in dem das Heute, 16 Jahre nach der Wiedervereinigung, mit seinen unübersehbaren Brüchen erkennbar wird.

Einen Lobgesang auf die deutsch-polnischen Beziehung wusste auch der ehemalige Außenminister Polens, Wladyslaw Bartoszewski, zu „singen“. Er wurde in diesem Jahr zum Festredner auserkoren. Er erinnerte die Zuhörer daran, dass es gerade die Polen waren, „die die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 sofort akzeptiert haben. Allerdings mit einer Bedingung: kein neutrales Deutschland, keine separate Ex-DDR-Zone, sondern ein wiedervereinigtes, westeuropäisches, in der NATO verbleibendes Deutschland.“ Der sonst so streitbare Bartoszewski blieb während seiner Rede zu Fragen polnisch-deutscher Beziehungen im Allgemeinen stecken, kein Wort zur Gegenwart ließ er verlauten, in der die Nachbarländer politisch mit einigen Problemen umzugehen haben. Es schien, als ob der Ex-Außenminister die Feier in der Nikolaikirche nicht stören wollte. Und so blieb auch er in der Festtagsstimmung, in der er den Zuhörern schöne Worte mit auf den Weg gab: „Freundschaft muss man aufbauen und Freundschaften aufzubauen, ist ein mühsamer Prozess. Man muss über das Sich-besser-Kennenlernen und über die Normalität, die man erreicht hat, auch die Freundschaft erreichen. Aber das ist vorrangig eine Aufgabe für kommende Generationen.“

Zum Schluss erklang die Nationalhymne, vom Chor am kräftigsten gesungen. Das Kraftvolle hatte an diesem Abend unüberhörbar das Sagen.

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