Kultur: Ein Hemingway aus den Beskiden
Der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk liest heute im Literaturladen Wist
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Wie ein Holzfäller, etwas unbeholfen und mit tiefer Stimme, betritt der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk bei einer seiner Lesungen den Raum. Ein Augenblick der Unsicherheit macht sich breit . „Sind Sie der bekannte Autor; sind Sie Herr Stasiuk?“, fragt eine Dame im Foyer. „Ja, ich bin es.“ Man lacht, Stasiuk am lautesten.
Er scheint immer noch etwas überrascht zu sein über seine Popularität. Dabei veröffentlicht Stasiuk seit den 90er Jahren beinahe jedes zweite Jahr ein Buch. In Polen debütierte er 1992 mit dem Erzählband „Die Mauer von Hebron“. Der Roman „Der weiße Raabe“ war sein erstes Buch, das in deutscher Sprache (1997) erschien. Danach folgten zahlreiche Übersetzungen, u. a. „Die Welt hinter Dukla“ (2000), „Mein Europa“ (2004) und zuletzt „Die Reise nach Babadag“ (2005) – Publikationen, die ihn in Deutschland bekannt machten. Stasiuk gehört wie die polnische Autorin Olga Tokarczuk der Generation jener Schriftsteller an, die sich selbst ihre Themen aussuchen und sich keiner modischen Kunstrichtung oder politischen Option verpflichtet fühlen. Seit 1990, seit den ersten freien Wahlen, ist Polen ein demokratisches Land geworden, und die jüngere Generation weiß diese Entwicklung zu schätzen.
Andrzej Stasiuk , geboren 1960 in Warschau, ist ein Quergeist und ein ewig Unangepasster. Aufgewachsen in einem Arbeiterbezirk von Warschau, brach er mehrmals die Schule ab und wurde schließlich in die polnische Armee eingezogen. Nach der Einführung des Kriegsrechts in Polen desertierte er und wurde aus diesem Grund anderthalb Jahre ins Gefängnis gesteckt. Seinen neuen Lebensmittelpunkt fand er in den Beskiden, wo er heute mit seiner Frau und den Kindern lebt. Hier, in der Bergidylle entstehen seine Bücher. In dem Dorf Wolowiec leitet seine Gattin Monika Sznajderman den Czarne Verlag, in dem die Werke ihres Mannes erscheinen. Stasiuks Themen haben starken autobiographischen Charakter. Sie kreisen um die männliche Initiation, den Tod und das Abenteuer. Die Kulissen wechseln: Provinzstädtchen, karge Berglandschaften, Steppen ohne Menschen, dafür mit Schafen und Kühen. Seine Helden sind einsame Individuen, die die Weite suchen. Trinker und Diebe sind seine Helden, die keine Scheu vor Grenzerfahrungen haben. Das Motiv des Reisenden kehrt bei ihm immer wieder. Es ist vor allem der Osten, der den Autor fasziniert: die Slovakei, Rumänien, Ukraine, Ungarn und Albanien; Regionen, die von der westlichen Welt oft ignoriert wurden. Anschaulich beschreibt er den Verfall ganzer Landstriche, porträtiert Menschen, die unbekannte Dialekte sprechen und versucht, den Geruch des Ostens zu beschreiben. Aus einem zynischen Raudi entwickelt sich ein lyrischer Erzähler, einer, dem man gerne auf seiner Reise folgt. Die Natur wird in seinen Erzählungen zu Freund und Feind, sie fasziniert und macht gleichzeitig Angst. Sie ist ein Erprobungsfeld männlicher Stärke. Gelegentlich steigt sie zu einer Projektionsfläche romantischer Sehnsüchte auf.
Die Frauenfiguren spielen in Stasiuks Werk kaum eine Rolle. Es sind vor allem musische, elfengleiche Erscheinungen, die für den Fremden, den Ich-Erzähler, unerreichbar bleiben. Mehrmals äußerte sich Stasiuk zu politischen Themen wie die EU-Erweiterung, plädiert für Hilfsmaßnahmen für die Ukraine, versucht sich in der Konfrontation zwischen Ost- und Westeuropa einzuschalten, manchmal mit umstrittenen Argumenten. So sprach er sich im März dieses Jahres im Literarischen Colloqium Berlin gegen einen Eintritt Rumäniens in die EU aus. In diesem Fall, so Stasiuk, würde die kulturelle Identität und Souveränität dieses Landes verloren gehen. Manchmal scheint ihm ein nostalgischer, folkloristischer Blick auf Osteuropa wichtiger als der Wunsch eines Einzelnen, frei zu sein oder eben schlicht ein Westauto fahren zu wollen.
Als Autor, Journalist und Lyriker bleibt er ständig im Gespräch, er polarisiert und begeistert zugleich. Wie ein russischer Barde singt er den Gesang vergessener Welten, und wie Hemingway bleibt er doch in seiner Männerwelt gefangen. Mit seinem Erzähltalent gepaart mit Sensibilität und einem unabhängigen Geist gehört Stasiuk zu den interessantesten polnischen Schriftstellern seiner Generation. Dies gilt auch dann, wenn er sich etwas abfällig über seine Zunft äußert: „Musik erfordert Geduld. Das ist was für Leute mit Charakter. Schreiben kann jeder.“ Katarzyna Kaminska
Heute, 20 Uhr, im Literaturladen Wist Lesung und Gespräch mit Andrzej Stasiuk. Moderation und Übersetzung: Olaf Kühl. Den deutschen Text liest der Schauspieler Moritz Führmann. Eine Veranstaltung des Brandenburgischen Literaturbüros.
Katarzyna Kaminska
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