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Der Traum vom Fliegen. Die Vogelfrau kämpft um ihn.

© Theater Anu

Kultur: Ein Irrgarten aus Licht

„Die große Reise“ in der Schiffbauergasse

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Es war ein rauer Empfang für die Reisenden der Poesie. Krähen zerpflückten in nächtlicher Attacke die ersten 40 aufgestellten Papiertüten, in denen ab heute Kerzen angezündet werden sollten. Seit sieben Jahren breitet das Theater Anu aus Berlin sein Lichterlabyrinth „Die große Reise“ auf Plätzen, Parks oder in Wäldern aus, aber mit Krähen hatten sie noch nicht zu tun. Doch es sind ja gerade die Widrigkeiten des Lebens, die sie in ihrem Irrgarten aus Licht in Szene setzen.

Rund 3 500 Kerzen sollen ab heute an drei Abenden am „fabrik“-Garten der Schiffbauergasse den Zuschauern die Wege weisen. Ein Narr wird sie in Empfang nehmen. Er bewacht das Tor, durch das die Gäste schreiten. Über den ganzen dreistündigen Abend erzählt er seine Geschichten und stimmt die Eintretenden auf ihre Suche nach dem richtigen Weg ein. Denn darum geht es in der collagenartigen Aufführung: um den Irrgarten des Lebens. Um diesen zu erkunden, helfen an acht Stationen Schauspieler, Tänzer und Musiker. Sie verkörpern archetypische Gestalten, in denen sich die Weisheit aller Lebensentwürfe spiegelt.

Da gibt es zum Beispiel den Prinzen, aus dessen Bauchnabel ein Seil herauswächst, das mit einem Koffer verbunden ist. Der junge Mann versucht loszukommen und öffnet den Koffer: Er sieht am anderen Ende des Seils eine Krone. Würde er sie aufsetzen, wäre er frei. Aber der Jüngling entscheidet sich, weiter gefangen zu bleiben. Er möchte nicht erwachsen werden. An anderer Stelle gibt es die Vogelfrau, die mit Schirm und Leiter versucht zu fliegen. Wieder und wieder. Doch sie stürzt ständig ab. Sie schafft es nicht, ihren Traum zu leben.

Wie die beiden künstlerischen Leiter des 1998 gegründeten freien Theaters, Bille und Stefan Behr, beim gestrigen Pressegespräch sagten, sei diese Inszenierung aber keineswegs düster. „Sie zeigt nur die Muster unserer aller Lebensläufe, auch die Täler und Zweifel, die wir durchschreiten.“ Das Labyrinth sei das Symbol dieser Lebensreise. Es stehen auch 300 alte Reisekoffer bereit, die die Zuschauer als ihr Paket mit auf die Reise nehmen können. Darin befinden sich die unterschiedlichsten Dinge: eine Feder, eine Uhr, ein Ei oder eine Krone. Jeder kann in diese Koffer hineinschauen, sie haben ein rundes Fenster und sind beleuchtet. Überhaupt spielt die Erleuchtung wohl eine große Rolle in dieser Inszenierung, die jeder Zuschauer in seinem eigenen Tempo durchschreiten kann. Wer sich mehr Zeit nimmt und näher herantritt, wird mehr entdecken – so, wie es auf Reisen ist. „Es wird kein Wirrwarr geben, auch wenn 2000 Besucher kommen würden. Denn jeder hat seine ganz eigene Geschwindigkeit“, so die Künstler. Alle acht Szenen werden gleichzeitig gespielt – in ständiger Wiederholung der sieben- bis zehnminütigen Monologe, begleitet von Cello- und Klaviermusik.

Das Theater Anu, das mit etwa 30 freischaffenden Künstlern zusammenarbeitet und von der Stadt Potsdam für sein dreitägiges Gastspiel 5000 Euro erhält, erforscht seit über zehn Jahren poetische Theaterformen im öffentlichen Raum. Zum 200. Geburtstag der Gebrüder Grimm spielten sie in den Wäldern bei Kassel, mit der Produktion „Engelland“ begleiteten sie auf den Dächern Berlins 20 Jahre Mauerfall. Und selbst vor dem Winter schrecken sie nicht zurück: Auf der Zeche Zollverein in Essen waren sie die Schneeengel.

In Potsdam vertraut das Theater Anu auf eine laue Sommernacht, und acht seiner Helfer werden nicht nur die Krähen verscheuchen, sondern auch die Teelichter am Brennen halten – zwischen den Inseln des Glücks und des Verharrens. Heidi Jäger

Vom 8. bis 10. August, jeweils 22 bis 1 Uhr, Schiffbauergasse, Karten unter Tel.: (030) 26 39 59 99. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro. Die PNN verlosen zehn Mal zwei Freikarten für eine Vorstellung freier Wahl. Interessenten können heute ab 10 Uhr unter Tel.: (0331) 23 76 135 anrufen

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