
© Shobha/Contrasto
Kultur: „Ein korruptes Gesellschaftssystem“
Petra Reski über die Mafia, die vielleicht auch in Potsdam aktiv ist – Lesung in der Villa Quandt Aber mittlerweile ist die Mafia in Deutschland überall da, wo Geld investiert wird.“
Stand:
Frau Reski, Sie schreiben über die Mafia, eine Verbrecherorganisation ...
Nein, glauben Sie nie, dass die Mafia eine reine Verbrecherorganisation ist. Das ist ein Irrtum.
Was ist die Mafia dann?
Sie infiltriert die Gesellschaft und damit die Wirtschaft und genauso die Politik. Ich bin fast schon geneigt zu sagen, dass die Mafia selbst ein korruptes Gesellschaftssystem ist.
Haben die tiefen Einblicke, die Sie durch Ihre jahrelange, intensive Arbeit in dieses korrupte Gesellschaftssystem und die Abgründe der Mafia bekommen haben, Sie eigentlich erschüttert?
Ich habe da einen relativ kühlen Blick. Mich hat das interessiert, ich wollte das System Mafia begreifen. Erschüttert war ich erst, und das ist noch gar nicht so lange her, als ich begriffen habe, wie die Mafia in Deutschland ignoriert wird.
Im August 2007 kam es zu den Morden an sechs Italienern vor dem Restaurant „Da Bruno“ in Duisburg. Spätestens da muss doch allen klar geworden sein, dass die Mafia auch hierzulande ein Problem ist?
Ja, aber es gab auch vorher schon viele Anzeichen für deren Präsenz in Deutschland. Auch Morde. Aber nicht so spektakulär wie die in Duisburg. Natürlich hat die Mafia immer versucht, sich in Deutschland anders zu bewegen als in Italien. Denn es wäre ziemlich kontraproduktiv, wenn die Mafiosi, wie in San Luca, auch in Deutschland die Müllcontainer mit Maschinenpistolensalven durchlöchern. Hier gibt sich die Mafia immer sehr diplomatisch und sehr geschmeidig.
Was auch dazu führt, dass wir die Gefahr nicht wirklich wahrnehmen?
Und das, obwohl die Präsenz der Mafia in Deutschland seit mittlerweile 40 Jahren den Ermittlern bekannt ist. Das aber kaum etwas passiert, ist nicht das Problem mangelnder Ermittlungen, es ist ein politisches. Es gibt dafür nicht nur kein Bewusstsein, sondern das Problem wird in Deutschland allzu oft auch schlichtweg geleugnet. Mit Peer Steinbrück und Hans Jochen Vogel gab es zwei Politiker, die mir hinsichtlich meiner Berichterstattung den Rücken gestärkt haben. Ansonsten bin ich da aber skeptisch.
Warum?
Das ist doch ganz klar. Die Politik hat wenig Interesse an einem Thema, das ihr auf den ersten Blick keine Wählerstimmen einbringt. Da wird der bärtige Islamist von den Deutschen viel eher als eine konkrete Gefahr wahrgenommen. Bei der Mafia ist das nicht so, denn die ist für viele immer noch ein rein italienisches Problem.
Obwohl, wie Sie in Ihren Büchern schreiben, die Mafia Deutschland vor allem nutzt, um hier im großen Stil Drogengelder zu waschen?
Das Thema Geldwäsche bleibt aber immer abstrakt und interessiert daher kaum. Denn das wird nicht als bedrohlich empfunden. Im Gegensatz zu einem Wohnungseinbruch. Aber die Geldwäsche hat sehr große Auswirkungen auf jeden von uns, weil dadurch die Wirtschaftsdemokratie ausgehebelt wird. Das ist leider kaum jemanden bewusst und liegt auch daran, dass in Deutschland über die Mafia kaum oder gar nicht berichtet wird.
Was ja so nicht stimmt, denn ausführlich wurde in der deutschen Presse über die Lieder der Ndrangheta, der kalabrischen Mafia berichtet.
Ja, Lieder, in denen beispielsweise die Ermordung des Generals Dalla Chiesa bejubelt wird, der in Palermo gegen die Mafia gekämpft hat. In denen Morde an abtrünnigen Mafiosi halluziniert werden. Diese Berichterstattung über „La musica della Mafia“ war wirklich der Tiefpunkt der deutschen Presse in Sachen Mafia.
Was ist so schlimm an ein paar Liedern mit Titeln wie „Sangu chiama sangu“ (Blut verlangt nach Blut) oder „Pi fari u giuvanottu i malavita“ (Wenn man als junger Mann ein Verbrecher werden will)? Das ist doch nur Musik?
Weil der Musikproduzent Francesco Sbano, ein in Hamburg lebender kalabrischer Fotograf, sehr geschickt ein Netzwerk von Journalisten aufgebaut hat. Diese Journalisten hat er zu kleinen Betriebsausflügen nach Mafialand eingeladen, die dann, ganz erwartbar, schöne Folkloreartikel über die Mafia veröffentlicht haben. Artikel, in denen die Mafia als eine Art bedrohtes Völkchen dargestellt wird, das gerne singt und tanzt und sich hin und wieder auch mal untereinander umbringt.
Wer Ihre Bücher „Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ oder „Von Kamen nach Corleone. Die Mafia in Deutschland“ gelesen hat, wird kaum an ein bedrohtes Völkchen glauben, das nur singt und tanzt. Da stehen einem die Haare zu Berge über die Aktivitäten der Mafiaclans im Ruhrgebiet, in Erfurt, Weimar, Leipzig, Eisenach und Dresden. Und irgendwann stellt sich die Frage: Kann ich selbst hier in Potsdam überhaupt noch in ein italienisches Restaurant gehen ohne befürchten zu müssen, die Mafia zu unterstützen?
Nun, in Potsdam und Berlin ist die Mafia nicht schon seit den 70er Jahren wie in Duisburg präsent. Aber mittlerweile sind sie überall da, wo Geld investiert wird. Also auch in Berlin, das ist gar keine Frage. Und so ein Ort wie Potsdam, obwohl ich dafür keine Beweise habe, ist wahnsinnig interessant für die Geldwäsche, weil hier viel Geld in Immobilien investiert wird.
Sie sagten, die Mafia infiltriere neben der Wirtschaft auch die Politik. Doch aber nicht in Deutschland?
Ja, das höre ich immer wieder. Manchmal wird zugegeben, dass wir hier in Deutschland die Mafia haben. Gleichzeitig heißt es dann aber, sie würde nicht die Politik beeinflussen. Das ist ungefähr so, als würde man behaupten, der Regen ist trocken.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Petra Reski liest am morgigen Donnerstag, 20 Uhr, in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 280 41 03
Petra Reski, geb. 1958 in Kamen, studierte in Trier, Münster und Paris und lebt seit 1991 in Venedig. Für ihre literarischen und journalistischen Arbeiten wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
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