Kultur: Ein Kreuz: Leiden, Körper, Videos
Kulturland Brandenburg 2005: Beeindruckende Installation des bekannten amerikanischen Künstlers Gary Hill in der Alten Neuendorfer Kirche
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Kulturland Brandenburg 2005: Beeindruckende Installation des bekannten amerikanischen Künstlers Gary Hill in der Alten Neuendorfer Kirche Von Lore Bardens Unter nachthellblauem Himmel mit goldenen Sternen und buntem Licht, das durch die farbigen Fenster fällt, erscheint das Leben in der Kirche am Neuendorfer Anger in freundlichem Glanz. Frühlingshaft-erträglich, schläfrig das Draußen, friedlich das Drinnen. Die Welt kein Jammertal, im Gegenteil, sattes Grün an den Bäumen, helles Kinderlachen. Dennoch lässt uns die christliche Tradition – zumal im „Himmel-auf-Erden-Jahr“ von Kulturland Brandenburg keine Ruhe, auch nicht an einem solch schönen Tag. Gerade dann nicht! Schon Friedrich Schiller schrieb: „Es ist eine allgemeine Erscheinung in unserer Natur, dass uns das Traurige, das Schreckliche, das Schauderhafte mit unwiderstehlichem Zauber an sich lockt“ – daraus auch das Kreuz seine Faszination schöpft, der Kreuzgang, der Kreuzhang Christi. Am Abgesang des hedonistischen Zeitalters angelangt, bewundert man Kulturland Brandenburg, die Transzendenz-Frage im richtigen Moment zu stellen. Die kleine, so liebevoll wiederhergestellte, oktogonale Kirche besitzt selbst kein Kreuz.Vor der Kanzel steht seit gut einer Woche eine große weiße Wand, an der fünf Bildschirme hängen. „Crux“ nennt der Videokünstler Gary Hill seine Installation, die er 1987 im Auftrag von Pater Mennekes aus Köln für dessen Kirche St. Peter produzierte. Die Bildschirme beschreiben ein Kreuz, oben der Kopf, auf Brusthöhe links und rechts die ausgestreckten Hände, unten zusammengepresst und gefesselt die Füße. Die Körpermitte hat der 1951 in Santa Monica in den USA geborene Künstler ausgespart. Nur die Endpunkte des überlebensgroßen Christuskreuzes gibt er vor. Umso größer die Möglichkeit für den Betrachter, sich das Leiden (Christi, der Menschheit) in allen Facetten auszumalen. Dieses Leid rauscht, knattert und tönt. Da gibt es keinen ausgemergelten Rippen gezeichneten und letztendlich blutenden Christuskörper zu sehen, es hängen lediglich ein paar blasse Füße auf dem Boden herum, seltsam leblos, als seien sie schon tot, da zeigen rechts und links fremdartig eigenlebendige Hände auf Dinge in der Natur, da bewegt sich oben ein Kopf im schattigen Licht der Kamera. Dieser Kopf gibt Töne von sich, schwerer Atem wird ausgestoßen – es ist ein Kreuz, am Kreuz zu gehen. Wir erleben den eigenartigen Kreuzgang des Künstlers auf diese Weise mit: ausgespart die Körpermitte, ausgespart auch das Kreuzgestell, das Gary Hill eigens bastelte, um diesen schweren Gang auf sich zu nehmen. Vielleicht stellvertretend für die gesamte Menschheit, vielleicht aber auch, um das nachzuholen, was bei Christi technisch noch nicht möglich war: die Videoaufnahme. Vielleicht auch, um ein religiöses Experiment zwischen Timothy Leary und Big Brother anzusiedeln und dennoch das Mysterium umso größer zu machen. Hill entgeht zum Glück der Gefahr der Eindeutigkeit, indem er fragmentiert, auslässt, den leidenden Körper nicht zeigt. Der Leib (Christi) bleibt abwesend, so dass der Betrachter selbst zusammensetzt und kombiniert. Der Kreuzgang wird in diesem Fall zu einer Art Gang ins Leben. Von ruinierten Kulturzeugnissen geht der Kreuzträger hinaus in die Natur, riecht an frischer Rinde, lässt die Kiesel durch seine Hand rollen und taucht endlich ins erfrischende, klare Wasser. In den Quell des Lebens, der in der christlichen Mythologie auch als Tod interpretiert werden kann. Nur selten hat sich ein Künstler in die Rolle von Jesus Christus begeben. Man malte, man erschuf, man interpretierte, man „war“ aber nie der Gekreuzigte selbst. Die Profanisierung, die von dieser Botschaft ausgeht, muss nicht nur als Angriff gegen christliche Hierarchien gedeutet werden, sie kann auch etwas Befreiendes haben. Diese Botschaft nimmt man gerne mit hinaus in den sonnigen Tag. Die Ausstellung ist Teil einer landesweiten Präsentation im Rahmen des Kulturland Brandenburg-Themenjahres 2005. Werke von international hochrangigen Künstlern werden in markanten Kirchen gezeigt. Öffnungszeiten: Di und Do 16 bis 17 Uhr, Sa 14 bis 17 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung unter 0331/70 77 35
Lore Bardens
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