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Zerrieben im Weiß der Unschuld. Florian Kroop spielt den Schwärmer und an seiner ersten Liebe zerbrochenen Werther.

© HOT/HL Böhme

Werther-Premiere in der Potsdamer Reithalle: Ein letztes Mal

Kristo agors „Werther. Sprache der Liebe“ hatte in der Reithalle Premiere. Doch statt das Prickeln der Liebe zu vermitteln kreiste das Stück eher um selbstzerstörerisches Verlangen.

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Ja, es regnet rosa Rosen vom Himmel. Doch sie schlagen knallhart und messerscharf ein: in das unberührte Weiß. Die ganze Bühne ist von diesem Weiß überflutet, von diesem Weiß der Unschuld, die zu Grabe getragen wird. Sie besteht aus Tausenden von beschriebenen Blättern, die nun rücklings fallen gelassen ihre Schrift verbergen. Die Zeit, dass die Reinheit des Geistes unbekümmert sprießen kann, ist vorbei. Werthers Seele ist zerrissen, die himmelhochjauchzende Lust am Fabulieren versiegt. Die Sprache der unerfüllten Liebe hat sich tief in ihm eingesengt und droht ihn nun zu verbrennen.

Agnes Treplins Bühnenkleid, das sie dieser Inszenierung von Kristo agors Stück „Werther. Sprache der Liebe“ am Hans Otto Theater überwirft, lässt die Zerrissenheit dieses jungen Mannes sofort fühlbar werden. Dieser über seine wunde Seele gestrauchelte Schwärmer in dem schlichten weißen Leinenhemd windet sich wie ein Wurm heraus aus dem Blättergrab, „aus den Büchern, die mich ekeln“. Mit einer Pistole in der Hand ruft er sich wie besessen selbst zu: „Jawohl, ich bin nur ein Wanderer. Es ist das letzte Mal.“

Doch diese, seine letzte Wanderung bleibt entrückt. Anders als beim tonangebenden Bühnenbild mit den sinnfälligen Videoeinspielungen fällt es zur Premiere in der Reithalle am Donnnerstagabend streckenweise schwer, in die Wortkaskaden des Liebes- und schließlich Todessüchtigen einzudringen. Florian Kroop, der gerade die Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ absolviert hat, füllt diese Titelfigur zwar mit angenehmer Natürlichkeit und hoher Sprachkultur, aber es fehlen ihm noch die Farbnuancen, um seine Figur bis in die Seele hinein auszumalen. Goethes Wortgewalt zu knacken und in eine emotionale Schubkraft zu verwandeln gelingt nur bruchstückhaft.

So, wenn sich dieser Strauchelnde zurück in sein Kinderzimmer stiehlt und mit dem Springseil die alten unbeschwerten Träume hüpfen lässt. Diese leisen Momente des Innehaltens sind es, die berühren. Auch als Lotte, die Angebetete, die einem anderen gehört, sich an ihre verstorbene Mutter erinnert, und die Hoffnung aufkeimen lässt, wie sich Werther und sie einst im Himmel finden, werden die Figuren ganz fühlbar.

Goethe verarbeitete in seinem 1774 entstandenen Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ den Selbstmord eines Freundes aus unglücklicher Liebe zu einer verheirateten Frau. Kristo agor dampft diesen „Werther“ auf die drei Figuren Werther, Lotte und Albert ein. Der Autor spielt mit dem Material, verschiebt die Texte nach eigenem Gusto und schält, ohne ein Wort hinzuzudichten, in diesem Destillat spannende Zuspitzungen und Fragen heraus. Was ist das, was da zwischen dem Heißsporn Werther und der kokettierenden und abweisenden Lotte läuft? Dieser Lotte, die wie Frühlingserwachen und Blitzeis zugleich ist. Und warum lässt Lottes Verlobter Albert seinen Nebenbuhler so lange gewähren, statt ihm die Tür zu weisen? Ja, dieser so brave Albert überreicht Werther zu dessen Geburtstag sogar ein Päckchen mit blaßrosa Schleife, dieser Schleife seiner Lotte, die Werther allein schon um den Verstand bringt.

Juliane Götz als Lotte und Florian Schmidtke als Albert sind wie kalte Spiegelflächen, in die Werther hineinschaut und die ihn immer wieder auf sich selbst zurückwerfen. Man bekommt die beiden nicht recht zu fassen. Sie geistern um Werther herum, der schließlich haltlos zwischen den Polen zerschmilzt.

Diese vor 200 Jahren erschaffene Figur liebt, wie heute geliebt wird. Das will diese Aufführung zeigen. Die rund 80-minütige prägnante Inszenierung von Jens Heuwinkel greift ins Jetzt, ohne sich mit aufgesetzten Aktualisierungen anzubiedern. Es gibt rockige Livemusik zu Klavier und Gitarre von Rita Herzog und Matthias Warneke. Und auch Florian Schmidtke greift zur Gitarre. Und wenn Juliane Götz gleich am Anfang zu diesen harten Rhythmen die Hände bewegt, ist das kein braves Mitklatschen, sondern ein dumpfes Schlagen. Es ist wie ein Prolog, der auf diese wilde Schlacht der Einsamkeit einstimmt.

Und die findet auf dieser blütenweißen Bühne mit der schwarzen Schräge und den sich von Rosa in ausgeblichenes Lila verfärbten Rosen eine Sinnlichkeit, die über den Abend hinausreicht. Doch dieses Gepacktwerden mit Haut und Haaren, über den Abgrund der Leidenschaft hinweg, das vermag die Inszenierung zwischen Nebelschwaden, Video und Musik zur Premiere nicht. Es bleibt eine Distanz, so wie Lotte den schmachtenden Werther auf Abstand hält. Es gibt indes Sätze, die, mehrfach wiederholt, sich einmeißeln. „Passen Sie auf, dass Sie sich nicht verlieben!“, heißt es immer wieder. Doch beim Walzer, bei diesem ersten Tanz mit Lotte in ihrem hübschen schleifenbekränzten Kleid, vergisst Werther bereits alle Vorsicht. „Seine ganze Seele ruht auf ihrer Gestalt.“

Dieses Prickeln möchte man spüren, auch als Zuschauer. Doch es bleibt weitgehend bei den Gedankenspielen, beim ewigen Kreisen um dieses hoffnungslose und selbstzerstörerische Verlangen nach Lottes Liebe. Bis dieser so einsame, an seiner ersten großen Leidenschaft verglühte Werther in den Lauf der Pistole schaut, lächelnd, wie beim Anblick der Geliebten.

Wieder am Montag, dem 4. März, um 18 Uhr in der Reithalle, Schiffbauergasse

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