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Kultur: Ein literarischer Chirurg Wladimir Kaminer

las im Lindenpark

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Der Verlag des Schriftstellers Wladimir Kaminer kann sich wirklich glücklich schätzen: Bezahl ihm einen Urlaub, zwei Wochen, wohin ist im Prinzip egal, und Kaminer wird wiederkommen mit einem bis an die Ränder gefüllten Notizbuch und Ideen und Geschichten im Kopf, die ein Buch füllen könnten, gegen das Tolstois „Krieg und Frieden“ ein Werbeprospekt ist.

Aber warum in die Ferne schweifen. Kaminer, der 1990 aus Moskau kam und „humanitäres Asyl“ in Ost-Berlin suchte und fand, hat das deutsche Wesen noch lange nicht vollständig ergründet. Oft geht es bei ihm um offensichtliche Angriffsflächen der deutschen Gesellschaft und Mentalität: Bürokratie, Ordnung und den Kanon preußischer Tugenden. In seinem Debüt „Russendisko“ ist es das Aufeinanderprallen russischer und deutscher Eigenheiten, das zum Schmunzeln, Lachen und Nachdenken anregt. Mittlerweile hat Kaminer auch die letzte Bastion der deutschen Institutionen genommen: „Mein Leben im Schrebergarten“ ist der Titel des aktuellen Buchs.

Das Publikum im Lindenpark bekommt am Donnerstagabend einige unveröffentlichte Geschichten von Kaminer vorgetragen und amüsiert sich dabei bestens. Nur einige Stühle sind noch leer, als Kaminer auf die Bühne stolziert. Er wirkt frisch und fit – sein Nebenberuf als trink- und feierfester DJ der „Russendisko“ im verrauchten Berliner Kaffee Burger scheint keine Spuren hinterlassen zu haben.

Mit dickem, russischem Akzent legt Kaminer los. Er ist ein literarischer Chirurg, der die Leute durchschaut und mit seinem Stift ihr Innerstes zu präsentieren vermag. Die Schwach- und Schaltstellen der Deutschen und der Russen kennt Kaminer als marginaler Wandler zwischen den Kulturen genau und weiß sie in leicht zu genießende Anekdoten zu gießen, die entlarven, ohne zu beleidigen.

Seine sonore Stimme dröhnt abgehackt durch die Lautsprecher, während er in den ersten Texten kein gutes Haar am deutschen Schulwesen lässt. Spontanen Zwischenapplaus erntet sein Verriss des deutschen Kinderfernsehens – köstlich seine Beschreibung von SpongeBob Schwammkopf als „Unterwasser-Käse mit Ameisenbeinen“ – und die Rückbesinnung auf seine sozialistische Erziehung mit „Nu, pogodi!"“ Die heutige Generation hätte damit aber ihre Probleme: „Meine Kinder fragen dann, warum der Wolf den Hasen nie bekommt und ich versuche ihnen erfolglos zu erklären, dass es ein sozialistischer Wolf ist, der den Hasen nach einen Fünfjahresplan jagt.“

In der zweiten Hälfte verwandelt sich Kaminer in einen etwas ungewöhnlichen Reiseführer. Ziel der Exkursion ist der Nord-Kaukasus, Heimat von Kaminers Schwiegermutter. Vier Wochen war er dort im Urlaub und versucht jetzt seine exotischen Erfahrungen, den Potsdamer Zuschauern bildhaft zu vermitteln: so wird ausführlich der fachgerechte Umgang mit dem gemeinen Kaukasier erläutert, um späteren unangenehmen Begegnungen und Missverständnissen vorzubeugen. Oft ertränken sich seine Geschichten gegen Ende selbst in Schnaps und Wodka. Die Trinkfreude der Russen ist ein Klischee, das dann doch etwas zu verbraucht ist, um es in Büchern ausschlachten zu müssen.

Am Ende eine höfliche Verbeugung und eine Gerhard-Schröder-hafte Jubelgeste ins Publikum. Sein friedlich-zweideutiges Lächeln deutet darauf hin, dass ihm schon wieder 100 neue Geschichten im Kopf herum schwirren.

Christoph Henkel

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