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Kultur: Ein Mann der Linie

Malerei, Zeichnungen und Grafik von Rudolf Sittner in der Galerie am Neuen Palais

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Malerei, Zeichnungen und Grafik von Rudolf Sittner in der Galerie am Neuen Palais Von Götz J. Pfeiffer Der Grafikdesigner, Grafiker und Maler Rudolf Sittner ist ein umtriebiger Mann. Nach einer Ausstellung in der Galerie Samtleben Ende der 90er Jahre und Beteiligungen an den Herbst-Ausstellungen in der Galerie am Neuen Palais sind dort nun rund 80 seiner Arbeiten aus den Jahren 1997 bis 2003 zu sehen: mal malerisch, mal zeichnerisch eingesetzte Ölkreiden, auch Gouachen und Druckgrafik aus Linol- oder Holzstöcken. Dekorative Buntheit zeichnet vor allem Sittners malerische Arbeiten aus: Das kubistisch dekonstruierte „Mädchen mit weißem Vogel“ ist ein farblich von Rot zu Violett spielender Frauenakt vor grün bis rot-blauem Meer, darüber der hell- bis dunkelblaue Himmel. So auch der stark expressionistisch angehauchte „Weiße Akt auf Rot“, wo sich abschattierte Blautöne in Körperkontur, Hintergrund und dem schwarz-blauen Hut wieder finden. Verwirrend bunt und wuselig in der Organisation der umrisshaften Gestalten die 1997 nach einer Chile-Reise entstandene „Südamerikanische Fantasie“, die Indio-Motive zeigt und mit schwarzer, dünner Kontur der Formen wie ein Comic-Strip daher kommt. Gellend bunt das menschliche Landschaftsbild „Unter blauem Himmel“: Neben der schräg fluchtenden Straße räkelt sich ein Blondinen-Rückenakt als Hügelkette. Das wirkt reichlich plakativ. Und man tut dem 1944 in Köslin geborenen Sittner mit diesem Attribut keineswegs Unrecht. Denn in den 60er Jahren lernte und übte er zunächst den Beruf des Schrift- und Plakatmalers, studierte bis 1970 drei Jahre an der Berliner Fachschule für Werbung und Gestaltung die Fachrichtung Gebrauchsgrafik. Seit 1972 war er Mitglied im VBK und seit 1974 stellt er seine Arbeiten aus. Der in Cottbus freischaffend tätige Künstler wirbt bis heute auf seiner Internet-Präsenz, er sei „zuhause auf allen Gebieten des Grafik-Designs“, um dann vom einfachen Zeichen bis zum umfangreichen Corporate Design seine Palette anzupreisen. Zweifellos hat alle Malerei und Grafik einen Gebrauchscharakter, will im Anschauen benutzt werden. Notwendig sind manche Werke zu längerem Betrachter gemacht; andere wollen schnell erfasst und verstanden werden. Was wäre ein Plakat, dessen werbender Sinn nicht sofort klar wird? Wie gut ist ein Buchumschlag, der nicht auf die darin verpackten Seiten neugierig macht? Und wie treffend ein Logo, das nicht ebenso kurz wie treffend das Bezeichnete sprechend verkörpert? Man mag dies dann Werbung, Design oder Gebrauchsgrafik nennen. Jede dieser Sparten arbeitet mit der Verknappung der Form, mit der Konzentration auf einen Inhalt, der dahinter steht und schnell erfasst werden soll. Ist das geschafft, ist das Ziel erreicht. Sittners Arbeiten sind diese Charakteristika zu eigen. Es wäre auch bemerkenswert, wenn ein über Jahrzehnte erfahrener Bild- und Schrift-Gestalter sein Handwerk nicht verstünde. So wirken manche seiner Arbeiten wie Illustrationen, von der „Sich Kämmenden am Strand“ über die „Träumende am Meer“ bis zum „Fischkönig“, dessen schuppige Gestalt und der von ihm begehrte Frauenakt einem Märchen der Brüder Grimm oder einer Ostsee-Sage entsprungen sein könnten. Bei mancher malerischer Arbeit scheint Sittner diese Anzeichen bemerkt zu haben. Ein Triptychon ist „Zeitstrom“ betitelt, wo in Ursprung, Entstehen und Vergehen einer babylonisch anmutenden Stadt der Ablauf der Zeit und der Gang aller Dinge thematisiert ist. Oder Geheimnisvolles versprechend führt „Der Weg“ über Hügelketten, verschwindet vor der letzten - ein bildlicher Topos, der hier alle Breite des Symbols bereit hält und eben daran leidet. Hinzu kommt, dass mehr als eine Arbeit deutlich den kopierten Stil bildender Künstler der Moderne verrät: Pechstein und Klee, Expressionisten und kubistische Maler. Unbefangen vermehrt Sittner selbst die Reihe um weitere Namen: Grieshaber, Schiele, Picasso. Doch er sieht sich, gerade was seine kubistizistischen Arbeiten angeht, nicht als Kopist. Über das Formale hinaus führe er die gedankliche Seite des Kubismus weiter, schaue hinter die Dinge: Er zeige die Dinge anders, als sie zunächst scheinen. Trotz herkömmlicher Motive und Kompositionen wirken seine Grafiken - Handzeichnung wie Drucke - überraschend frisch. Entspannt ruht der weibliche „Akt mit gehobenem Arm“ und füllt mit seinen weiblichen Formen das Blatt. Wie Lorelei sitzt ein anderer Frauenakt „An der Steilküste“, lockend ist eine Brust frei gelegt, wird das Haar gestrichen, ist der Blick auf das Wasser gesenkt. Auch die zweifarbigen Linolschnitte der nackten „Liegenden in Blau“ oder des „Akts mit hochgezogener Schulter“ sind nicht nur preislich überzeugend. Und dass er nicht nur den Strich, sondern auch die abstrakte Form beherrscht, zeigt Sittner mit Linoldrucken wie „Der Bogen“, „Paar“ oder „Gefäß“, leider im etwas angestaubten Sechziger-Design. Das vielleicht beste Blatt der Ausstellung kommt ohne Farbe, ohne komplizierte Form oder angestrengten Titel aus. Eine Frau und ein Mann, beide nur durch die helle Linie ihres Körperumrisses vor schwarzem Grund gegeben, schauen einander an. „Kleiner Flirt“ heißt der berührend einfache Linoldruck auf getöntem Papier. Seine Flirts mit der Malerei hat auch Sittner. Aber er ist ein Mann der Linie. Bis 9. November, Galerie Am Neuen Palais, geöffnet Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa-So 13-18 Uhr.

Götz J. Pfeiffer

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