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Kultur: Ein männliches Quartett dreht sich im Kreis Thema „Demokratie“ im Filmmuseum

Ein Schelm wer Böses dabei denkt: „Das Kartenhaus der großen Koalition ist zusammengefallen“, diktiert eine Männerstimme der Stenotypistin auf der Leinwand in den Block. Nein, „Stresemann“, der Film, ist weder von heute noch von morgen, sondern von 1956.

Ein Schelm wer Böses dabei denkt: „Das Kartenhaus der großen Koalition ist zusammengefallen“, diktiert eine Männerstimme der Stenotypistin auf der Leinwand in den Block. Nein, „Stresemann“, der Film, ist weder von heute noch von morgen, sondern von 1956. Und er fokussiert die Zeit der Weimarer Republik, als starke Männer schwachen Frieden und noch schwächere Volksherrschaft zu stützen versuchten. Das Ende des demokratischen Gehversuchs ist bekannt. Doch wie gestaltet sich das Verhältnis von Staat und Gesellschaft heute?

Im Anschluss an „Stresemann“ stellten sich am Donnerstagabend im Filmmuseum die Gäste einer Podiumsdiskussion diese Frage. Da die Berliner Publizistin Daniela Dahn sich entschuldigen ließ, blieb die Runde unter Leitung des Filmhistorikers Günter Jordan männlich. Da war Friedrich Schorlemmer, Pfarrer, Publizist und DDR-Oppositioneller. Da war Edgar Most, ehedem Vizepräsident der DDR-Staatsbank, nach der Wende Direktor der Deutschen Bank in Berlin. Und Ulrich Preuß, Professor an der Freien Universität Berlin.

Preuß hatte 1990 am „Runden Tisch“ einen Verfassungsentwurf mit ausgearbeitet, der Deutschland auf neue Füße stellen sollte. „Keine Experimente“ sei allerdings die Devise gewesen, man habe lieber das Grundgesetz der Bundesrepublik übernommen. Preuß stellte eine Wende im Verhältnis von Demokratie und Staat fest. Ende der sechziger Jahre sei im linken Milieu der Bundesrepublik der Staat als klarer Gegensatz zur Demokratie gesehen worden. Heute stehe man ihm weniger kritisch gegenüber, verspüre vielmehr Trauer angesichts des fortschreitenden Rückzugs des Staates aus gesellschaftlichen Bereichen. Verhalten folgte das Publikum seinen nüchternen Ausführungen.

Da vermochte Friedrich Schorlemmer den Saal schon eher hinter sich zu bringen, obwohl er eine ganz ähnliche Wandlung schilderte. Gleichwohl die DDR als allgegenwärtigen „Ammenstaat“ im Hinterkopf, polterte er mit lockerer Schnauze drauflos, empfinde er die „Entstaatlichung als Horror". Einmal in Rage geredet, holte Schorlemmer zum großen Schlag aus. Zwischen dem scheidenden Bundesinnenminister („Lausch-Otto“) bis zur „Primadonna aus Westfalen, die nur in Hauptsätzen spricht" (Gerhard Schröder) und „Ranger“ George W. Bush blieb kaum ein prominenter Politiker ungeschoren. Wenn ein Pfarrer Klartext redet, sich wundert, dass mancher noch keine Prügel bezogen hat, bringt das Bonuspunkte und Lacher.

Auch Banker Most erzielte seine Treffer beim Publikum durch Klartext. Der Staatssozialismus sei ebenso gescheitert wie die nicht mehr finanzierbare soziale Marktwirtschaft. Kardinale Frage heute sei, wie Staat und Markt die Macht teilten. Mosts Fazit: „Geld regiert die Welt“. Das überzeugte. Preuß bemühte sich zu differenzieren: Heutige Konflikte spielten sich nicht nur zwischen Markt und Staat ab und seien nicht nur mit klassischen Machtmitteln zu bewältigen. Da helfe ein „Basta!“ so wenig wie eine militärische Intervention.

Als sich die Diskussion des maskulinen Quartetts mit den immer wieder gleichen Argumenten nur noch im Kreis drehte, platzte einer jungen Frau der Kragen. Sie unterbrach die vom restlichen Publikum anfangs wohlwollend kommentierte Plauderei. Die männliche Dominanz in Wirtschaft und Politik machte sie für die Lage im Land verantwortlich. Die kann''s, denkt man und singt ein Loblied auf die direkte Demokratie. Doch erst einmal am Reden, fing sie zu Filibustern an. Auf die Menge unterdessen war Verlass: Erst verhalten, dann offen wurde gemeutert. M. Reininghaus

M. Reininghaus

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