
© HL Böhme
Von Heidi Jäger: Ein Rave auf Klippen
Ingo Berk inszeniert Strindbergs „Fräulein Julie“ und schaut dabei in menschliche Abgründe
Stand:
Es geht hinab in die Finsternis. Eben noch lodert das mittsommernächtliche Feuer lichterloh. Doch nach dem Rausch folgt der Kater und ein grausamer Tanz der Dämonen beginnt. Das adlige Fräulein Julie ringt mit dem Diener Jean, nachdem sie ihm wollüstig eine Nacht grenzenloser Hingabe schenkte. Doch im Angesicht des Tages klaffen alle menschlichen Untiefen wieder auf: Jeder will auf Gedeih und Verderb als Sieger aus der unbotmäßigen Tat hervorgehen.
Regisseur Ingo Berk mag diese Düsternis, die August Strindberg in so einzigartiger Konsequenz zum bitteren Ende führt. Dabei wirkt der junge Mann eher frohgemut, wie es sich für einen Rheinländer gehört. Doch für ihn ist die Beschäftigung mit Grenzbereichen der menschlichen Existenz wichtig, um das eigene Glück in stärkerem Maße zu empfinden. „Man muss die Düsternis nicht selbst durchwandern, aber man sollte sie schon an sich heranholen. Am spannendsten ist es, wenn die Grenze zum eigenen Leben schmal wird“, sagt der gebürtige Mainzer.
Ihm selbst war das Glück bislang meist hold. Mit seinen 34 Jahren blickt er auf eine kleine Bilderbuchkarriere zurück: „Mit viel Fleiß erarbeitet, mit den passenden Fürsprechern und eben mit ein bisschen Glück.“ Sein Theaterwissenschaftsstudium brach er zur Zwischenprüfung ab, weil das Bühnenleben bereits mit beiden Händen nach ihm griff. Bei einer Hospitanz am Staatstheater Mainz assistierte er bei Regisseur Falk Richter und der nahm ihn mit nach Zürich, ans allererste Haus. Dort arbeitete Ingo Berk mit namhaften Regisseuren wie Andreas Kriegenburg und dem damaligen Schauspielhaus-Chef, Christoph Marthaler, höchstpersönlich. Der Newcomer erstarrte keineswegs vor Ehrfurcht: „Ich bin relativ unverkrampft und wenig Angst besessen“, sagt er mit größter Natürlichkeit. Selbstbewusst nahm er bald selbst das Regiezepter in die Hand und mäandert seit 2003 als freier Regisseur durch die Lande. Er ist regelmäßig an den Theaterhäusern Bonn und Graz zu Gast und war auch bei den letzten Salzburger Festspielen dabei. Berlin erkor er zu seiner privaten und beruflichen Mitte und machte mit Uraufführungen an der Schaubühne am Lehniner Platz auf sich aufmerksam.
Nach Potsdam verschlug es ihn durch die Fürsprache von zwei Schauspielern, mit denen er Kleists „Der Prinz von Homburg“ auf die Bühne brachte. Die Mimen animierten Intendant Tobias Wellemeyer, sich die Inszenierung in Hannover anzusehen – und Ingo Berk bekam den Auftrag für „Fräulein Julie“. „Ich kannte Potsdam schon durch das Theaterfestival Unidram, wo ich mir immer mal wieder etwas angesehen habe.“ Nun arbeitet er ein Haus weiter, blies den 100-jährigen Staub von der Strindberg-Geschichte und war überrascht, wie modern das Stück plötzlich wurde. „Ich kannte es aus der Schulzeit und dachte: Das ist ein alter Hut. Doch es erzählt auf universelle Weise über Beziehungen unter Menschen. Wenn man das überholte Klassenverhältnis Adel-Dienerschaft durch Reich und Arm ersetzt, öffnet sich eine Riesentür ins Heute.“ Die oft postulierte Chancengleichheit existiert auch jetzt nicht, sagt Berk. Es sei auch heute schwer, aus seinem „Käfig“ auszubrechen, der durch Eltern, Erziehung, Einkommen determiniert ist. „Es gibt welche, die sind vom Schicksal begünstigt, andere nicht.“
Seine Theaterfiguren Julie und Jean sind auf sehr unterschiedliche Weise benachteiligt: Jean leidet darunter, dass er viel kann, aber aufgrund seines Standes nicht weiterkommt. Julie fühlt sich einsam und ist auf der Suche nach menschlicher Wärme, nach jemanden, der sie akzeptiert. „Die Schauspieler müssen sich auf der Probe mit sehr vielen negativen Gefühlen auseinandersetzen. Das kann schmerzen, aber auch reinigen.“ Seine Inszenierung komme jedenfalls nicht nur dräuend und schwarz daher. „Die Temperatur im Raum fällt und steigt ständig. Ich denke, Strindberg hat eine 30-jährige Ehe mit all ihren Facetten auf diese eine Nacht projiziert.“
Und die spielt bei dem Autor in der Mittsommernacht, die in seiner Heimat Schweden so berühmt ist. „Wir haben uns hier in Potsdam stattdessen einen Rave auf Klippen vorgestellt. In Mainz wäre es wohl der Karneval gewesen, eben eine Zeit, in der alle Normen außer Kraft treten.“ Doch funktioniert im plüschigen Schlosstheater ein Rave auf Klippen? „Wir sehen die zeitlos gehaltene Bühne als Transitraum zwischen den Extremen.“ Und die Moral von der Geschicht’? „Männer und Frauen passen nicht zusammen. Aber das wäre wohl zu einfach.“ Da schaut selbst Hund Emma, Ingo Berks ständiger Begleiter, ungerührt in die Ferne. So leicht wird es sich Ingo Berk, der Geschichtenerzähler, zweifellos nicht machen. Sein Blick in die Finsternis will tiefer loten.
Premiere von „Fräulein Julie“, am heutigen Samstag, 19.30 Uhr, im Schlosstheater
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