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Kultur: Ein Riesenballett eiserner Seepferdchen

Höfer drehte mit Schlöndorff Solidarnosc-Film

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Er geht dicht ran an die Gesichter, gibt ihnen Zeit. Man fühlt die Gedanken, die wie kleine Fünkchen aus den Augen sprühen. Die Mimik wird zum einladenden Lesebuch, die mehr zu erzählen hat als eine zugeschminkte Fassade. Der Kameramann Andreas Höfer, der bestens mit der Handkamera umzugehen versteht, weiß die Intentionen des Regisseurs in lebendigen Bildern einzufangen. Das zeigt einmal mehr der neue Andreas-Dresen-Film „Sommer vorm Balkon“, der kürzlich im Thalia voraufgeführt wurde und ab 5. Januar in die Kinos kommt. Hier arbeiten zwei auf gleicher Augenhöhe, die sich ungefragt zu verstehen scheinen. Nicht nur aus den Nahaufnahmen, auch aus den Milieustudien spricht größte Authentizität. Man riecht förmlich die Berliner Luft.

Andreas Höfer und Andreas Dresen kennen sich bereits aus ihrer Armeezeit. Nachdem sie ihre Jahre, ohne großen Schaden zu nehmen, runtergeschrubbt hatten – u.a. auch als Filmvorführer – trafen sie sich beim Studium an der HFF wieder. Dort drehten sie nun gemeinsam ihre ersten Filme und auch nach dem Diplom blieb Höfer „Stamm-Kameramann" Dresens. „Stilles Land“, „Krauses Kneipe“, „Raus aus der Haut“ sind nur einige ihrer rund 20 Filme, mit denen sie manchen Achtungserfolg für sich verbuchen konnten . Der große Durchbruch gelang ihnen 1999 mit „Nachtgestalten“, der ihnen auf der Berlinale einen Silbernen Bären bescherte. Höfer wurde zudem mit dem Spezialpreis des polnischen Filmverbandes auf dem „Camerimage-Festival“ in Lodz geehrt.

Für Andreas Höfer ist „Sommer vorm Balkon" stilistisch wie auch thematisch eine Fortführung von „Nachtgestalten“. „Es ist wieder eine Berlin-Geschichte, die zwar poetisch unterlegt ist, aber mit einer knallharten Realität, die die Wirklichkeit nicht verformt, konfrontiert. Bei unserer Geschichte sind wir ins pralle Leben gegangen. Nie wurde etwas abgesperrt, nichts wurde extra für uns organisiert, wir arbeiteten wie für einen Dokumentarfilm.“

„Sommer vorm Balkon“ ist nach sechsjähriger Pause wieder der erste gemeinsame Spielfilm von Höfer und Dresen. Nach „Nachtgestalten" hatten sich vorerst ihre Wege getrennt – jedenfalls beruflich. Allein ihr gemeinsames Segelboot auf der Havel sorgt dafür, dass sie sich nie allzu lange aus den Augen verlieren.

Auf Andreas Höfer wurde indes Volker Schlöndorff aufmerksam. Er engagierte ihn für seinen Film „Die Stille nach dem Schuss“. Wiederum für den Stahnsdorfer ein Erfolg: Denn jetzt erhielt er die Goldene Kamera auf dem Internationalen Filmkamera-Festival Manaki Brothers im mazedonischen Bitola.

Gerade erst ist Andreas Höfer erneut mit Schlöndorff zu Dreharbeiten unterwegs gewesen: Diesmal auf den Spuren der Solidarnosc. Ein Dokumentarfilm von einer Absolventin der Münchner Filmhochschule über die „Mutter Courage" dieser polnischen Freiheitsbewegung war der Anstoß. Auf der Grundlage des Dokfilms wurde das Szenarium für den Spielfilm mit dem Arbeitstitel „Vergessene Heldin“ entwickelt. „Wir drehten alles an Originalschauplätzen“, zeigt sich Andreas Höfer noch immer ganz beeindruckt von der geschichtsträchtigen Atmosphäre auf der Danziger Lenin-Werft: „Diese vielen großen Schiffskräne sahen aus wie das Riesenballett eiserner Seepferdchen.“

Erzählt wird in dem neuen Schlöndorff-Film die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte einer Kranführerin, – gespielt von Katharina Thalbach – die 1980 entlassen wurde. Sie setzte sich für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen ein, für ein Frauenklo und eine Rente für Witwen, deren Männer auf der Werft ihr Leben ließen. Als man sie feuerte, kämpften die Mitarbeiter der ganzen Werft für ihre Wiedereinstellung. Mit Erfolg. Erst dann begannen die politischen Forderungen. „Anfangs war die Kranführerin mit Lech Walesa befreundet. Sie hat ihn auch vorgeschickt, als es um Verhandlungen mit der Werftleitung ging. Sie wusste, dass sie als Frau nicht so akzeptiert werden würde. Walesa hat sich dann später allein in dem Ruhm gesonnt.“ Doch da hört der Film bereits auf. „Das Irre war jedoch, dass wir selbst nicht wussten, dass der Ursprung der Solidarnosc völlig unpolitisch war. Und der Film soll auch zeigen, dass ein Einzelner doch etwas verändern kann, zumindest für eine gewisse Zeit.“ Denn heute ist, wie fast überall, auch auf dieser Werft von den einst 16 000 Arbeitern nur noch ein Bruchteil beschäftigt. Und die weitere Existenz des Betriebes ist ungewiss. In einem Zeitsprung zeigt der Film am Ende die jetzt 75-jährige einstige Vorkämpferin, wie sie einsam durch die leerstehenden Hallen geht.

Die ehemalige Kranführerin hat jetzt gegen den Schlöndorff-Film Klage erhoben, weil er ihre Biografie nicht genau wiederspiegele. „Aber ein Spielfilm ist kein Dokfilm und muss in gewisser Weise eben auch fiktiv mit der Realität umgehen“, hält Andreas Höfer entgegen. Das wirft einen kleinen Schatten auf diese für ihn so eindrucksvolle und wiederum sehr lebensnahe Geschichte.

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