POSITION: Ein später Höhepunkt im Leben des Meisters
Potsdam ist Bach-Stadt, vor allem durch Friedrich II.
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Mit dem 1685 geborenen Johann Sebastian Bach vollendet sich die Epoche des musikalischen Barock. Ein später Höhepunkt im Leben des Meisters ist dessen Reise im Mai 1747 nach Potsdam. Hier, im Zentrum des aufgeklärten preußischen Absolutisten Friedrich II., erfuhr Bach drei Jahre vor seinem Tode noch eine große Herausforderung: Friedrich gab Bach ein musikalisches Thema mit auf den Weg. Erst in diesen Tagen veröffentlichte der amerikanische Musikologe Markus Rathey Belege für die außerordentliche Verbreitung der Nachricht von Bachs Besuch in Potsdam – Zeitungen in Berlin, Leipzig und Hamburg, Magdeburg, Frankfurt am Main und München berichteten damals en detail. Dies unterstreicht die Tatsache, die ich seit Jahren immer wieder Potsdamer Kulturpolitikern klarzumachen versuche: Potsdam ist auf der weltweit bewussten Lebenskarte Johann Sebastian Bachs gewichtig verzeichnet.
In den „Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“ war über die Improvisation Bachs zu lesen, dass „nicht nur Se. Majest. Dero allergnädigstes Wohlgefallen darüber zu bezeigen beliebten, sondern auch die sämtlichen Anwesenden in Verwunderung gesetzt wurden“. Den Wunsch nach einer sechsstimmigen Ausarbeitung beschied Bach damit, dass er es „in einer ordentlichen Fuga zu Papiere bringen, und hernach in Kupfer stechen lassen will“. Die fertige Komposition widmete er als ein „musicalisches Opfer“ dem preußischen König. Mit der Ausarbeitung wird dieses „wahrhaft königliche Thema“ (Bach) Katalysator für eines der großen kammermusikalischen Werke, das „Musikalische Opfer“, in dem eintausend Jahre abendländischer Musikgeschichte zusammengefasst und vollendet werden. Es entsteht in Polyphonie und Kontrapunktik ein Lehrwerk für alle Generationen.
Das Potsdamer Werk des Meisters gehört neben der „Kunst der Fuge“, den Spätfassungen der Passionen und Messen und der „Clavierübung in fünf Theilen“ zur Enzyklopädie der Musikgeschichte. Danach war eine radikale Änderung in der Musikentwicklung notwendig.
Auch dafür stehen Potsdam und Sebastian Bach: Sein Sohn Carl Philipp Emanuel verkörpert in der galanten Individualität die neue junge Musikperiode des Rokoko. Philipp Emanuel war als königlicher „Cammermusiker“ am Potsdamer Hofe tätig. Auch er, der 30 Jahre hier wirkte und zunehmend in das Bewusstsein der musikalischen Welt findet, hat Potsdam zu einer Bach-Stadt gemacht.
In der krisenhistorischen Sichtweise des großen Europäers Stefan Zweig findet in Potsdam eine der „Sternstunden der Menschheit“ statt. In der Begegnung von absolutem Herrscher und künstlerisch souveränen Untertan begegnen sich die höchstentwickelten und sensiblen Vertreter alter mitteleuropäischer Familiengeschlechter. Für die heutigen Menschen erscheint in Bach die menschliche Gestalt eines außerordentlich hochbegabten Bürgers, der, obwohl völlig der Haltung seines Standes verhaftet, mit seiner Kunst nicht eigentlich einem König, sondern der ganzen Menschheit ein musikalisches Opfer bringt.
Die Brandenburgische Bach-Gesellschaft würdigt diese geisteswissenschaftliche und künstlerische Geschichte mit den jährlichen Bachtagen Potsdam. Dabei wird besonderer Bezug auf die Rezeption des Werkes vor Ort genommen. So gründeten sich die Bachtage 2001 genau 100 Jahre nach der Gründung des Bach-Vereines durch Nikolaikantor Wilhelm Kempff senior. Eingebundene Meisterkurse standen als ein erster Anfang einer Wiederbelebung der legendären Potsdamer Sommerkurse. Einer ihrer Vertreter, der Pianist Detlef Kraus, war ein mit Rührung des Publikums erlebter großer Tastenkünstler der alten Schule in einem Konzert im Palmensaal. Diese Bemühung musste mangels Förderung der Stadt eingestellt werden.
Die Bachtage sehen sich in Verbindung mit der Bach-Rezeption vor Ort seit dem 19. Jahrhundert. Damals begannen durch Carl Friedrich Zelter und Felix Mendelssohn-Bartholdy, die in Berlin und Potsdam auftraten, die Wiederaufführungen Bachscher Werke und eine bürgerliche Musikbetätigung. Seit dieser Zeit gibt es viele Persönlichkeiten in Potsdam und Berlin, die für die Verbreitung des künstlerischen Vermächtnisses des Komponisten in der Region wirken. Genannt seien Busoni, Kempff, Furtwängler, Fricsay, Ernst Pepping, Ekkehard Tietze, Friedrich Meinel oder Adele Stolte. Hier wird in der ehemals königlichen Staatsbibliothek der Großteil der Bach-Autographe aufbewahrt und erhalten, darunter das zurückgekehrte Archiv der Sing-Akademie mit ausgiebiger Bachiana. Die Region ist zudem eines der Zentren für die Aufführung alter Musik in Deutschland. Die Akademie für Alte Musik Berlin, die Lautten-Compagney, das Ensemble Exxential Bach oder hier ansässige Künstler der Barockmusikszene, die gesamteuropäisch entstanden ist, gehören zu dem Kreis von Künstlern, die die Klangwelt der Bachs und seiner Zeitgenossen aus der Kenntnis der Zeit für Menschen von heute entwickeln.
Dazu gehören auch die Künstler des Potsdamer Ensembles Die Kleine Cammer-Music, die im ersten Konzert der Bachtage 2012 am kommenden Montag, am Vorabend des Friedrich-Jubiläums an dem Ort musizieren werden, an dem der König mehr als 150 Jahre wider seinen Willen begraben lag, der Garnisonkirche. Bach hat zwei das Werk rahmende Fugen mit dem Renaissance-Begriff Ricercare versehen, Akronym für „Regis Iussu Cantio Et Reliqua Canonica Arte Resoluta“ („Auf Geheiß des Königs, die Melodie und der Rest durch kanonische Kunst erfüllt“). Ricercare, das ist: suchen und somit die Aufforderung an die Kenner, sich der mehrdeutigen Anlage der Kanons und ihrer inneren Zuordnung zu bemächtigen.
Der Autor ist seit 1994 Nikolaikantor und Intendant der Bachtage Potsdam
Björn O. Wiede
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