
© Andreas Klaer
Kultur: Ein starkes Bild
Schauspieler des Hans Otto Theaters lasen Texte der verstorbenen Autorin Christa Wolf
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1991 – Christa Wolf steht in der Küchentür ihres Landhauses in Woserin und blickt auf den neuen Küchentisch, der plötzlich diesen Glanz bekommt, zum Stellvertreter all der vorangegangenen Küchentische wird, und an dem jetzt vor dem geistigen Auge der damals 62-jährigen Schriftstellerin noch einmal all die Gesichter auftauchen, mit denen man zusammengesessen hatte. Christa Wolf sieht sich selbst in wechselndem Alter, die Gesichter der Anwesenden ziehen vorbei, verschlossen, abgewandt, dann ausgetauscht durch neue, frische und über allem schließlich doch ein Lachen.
Ob die am 1. Dezember 2011 verstorbene Schriftstellerin tatsächlich ausgesöhnt war mit ihrer privaten, politischen und literarischen Vergangenheit, bleibt zweifelhaft. Zumindest an diesem Samstagabend in der Reithalle des Hans Otto Theaters aber steht am Ende des Versuches einer respektvollen Erinnerung an eine wichtige Schriftstellerin und Zeitzeugin und der Dokumentation von mehr als 35 Jahren künstlerischer Arbeit ein intensiver Moment der Rückschau.
Die hervorragend ausgewählten Texte aus „Ein Tag im Jahr“, die dem letzten, von der künstlerischen Leiterin des Abends Ute Scharfenberg mit angemessener Unaufgeregtheit vorgetragenen Teil der Lesung vorangegangen waren, gleichen einem Puzzle aus privaten Anekdoten, politischen Auseinandersetzungen und Begegnungen mit der eigenen Kunst und deren Adressaten.
1965, Kleinmachnow, Förster-Funke-Allee. Der Zuhörer spürt noch dem aufgeregten Puls der Schriftstellerin nach, die gerade auf dem 11.Plenum der SED eine kritische Rede für die Freiheit der Kunst hielt, die, das spürte die damals 36-Jährige, sie in Ungnade fallen lassen würde – vor der Partei, deren Mitglied sie bis 1989 bleibt, aber auch vor vielen ihrer Schriftstellerkollegen. Erfrischend danach der Spaziergang mit Anna Seghers, die sie ins Vorderasiatische Museum schleppt und unverblümt von den schönen Ärschen der dort ausgestellten in Stein gehauenen Jünglinge spricht.
Doch diese Leichtigkeit kann nicht darüber hinweg trösten, dass der Versuch, „dieses Land zu schaffen“, immer wieder unterbunden wird durch „die Begrenzung jeden ehrlichen Versuches“.
Ein Ausschnitt einer Sonatine von Dvorak, einer ihrer Lieblingsmusiker, unterbricht die Notizen, die die Schriftstellerin am 27. September 1960 nach dem Vorbild von Gorkis „Ein Tag der Welt“ begann und die sie fortsetzt bis ins Jahr 2000. Vierzigmal der 27.September, vierzig verschiedene Arten von Himmel, vierzig Orte, Begegnungen oder Befindlichkeiten, die, wie 1977, etwas von den Ängsten und Unsicherheiten der Autorin durchscheinen lassen, die sich manchmal einfach nur nach einem Ort der Ruhe sehnt.
Schauspieler Dennis Herrmann liest konzentriert und versucht, die Verunsicherung der Schriftstellerin im Jahr der Biermann-Ausbürgerung greifbar zu machen. Die Zuschauer spüren den Druck, dem Christa Wolf sich ausgesetzt fühlte. Dafür scheint die Erinnerung an den 27. September 1979 umso ermutigender. HOT-Schauspieler Peter Pagel, mit grauem halblangen Haar und dick umrandeter schwarzer Brille, lässt eine Lesung von Christa Wolf in dem kleinen Ort Kriewitz wieder aufleben, die bei ihr einen außerordentlich starken Eindruck hinterlassen hatte. Sie spürte damals, dass sie den Wortlosigkeiten des Lesers eine Stimme gibt, sie spürte bei den Gästen, die vor allem aus Ärzten, Lehrern und Bibliothekaren zu bestehen schienen, „ein angestautes Ungenügen an ihrer Art zu leben“ und sie war froh, dass Herr St., der Reglementeur der Veranstaltung, an diesem doch sehr offenen Gespräch keine allzu strenge Zensur übte.
Dann wieder Dvorak, dann liest Rita Feldmeier vom HOT-Ensemble: Ein großer Zeitsprung, der plötzlich alles anders werden lässt. 1990, Berlin, Amalienpark. Christa Wolf war gänzlich in den Umbrüchen verfangen, sie schreibt, dass sie lustlos und zynisch war, gezeichnet von den augenscheinlich fruchtlosen Versuchen, Dinge, die ihr wichtig waren, zu bewahren. Die Intellektuellendebatte um die DDR-Künstler klingt in ihrem Text an, sie habe sie stark verunsichert. Was Christa Wolf unerwähnt lässt, sind die Vorwürfe ihre Stasivergangenheit betreffend.
Auch die zu Beginn des Jahres 1990 erschienene Erzählung „Was bleibt“ fand in Christa Wolfs Rückblick auf das Jahr keine Erwähnung. All das war vielleicht noch zu dicht, zu schmerzhaft, nicht dafür geschaffen, es schon zu bearbeiten. In „Stadt der Engel“, Christa Wolfs letztem Werk, versuchte sie es dann. Und vielleicht weiß die Frau auf dem Foto auf der Bühne, deren ernster Blick still auf die zu fallen scheint, die in der Reithalle noch einmal Teile ihres Lebens vorüberziehen lassen, dass die Aussöhnung mit der eigenen Vergangenheit oftmals nur ein Versuch bleiben kann.
Andrea Schneider
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