Ausstellung in der Sternkirche: Ein Stück Breslau in der Kirche
Der Potsdamer Pfarrer Joachim Jeutner recherchierte in Sachen Familiengeschichte und entdeckte interessante Holzschnitte, die nun in der Sternkirche zu sehen sind.
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Nach Breslau fährt sogar ein Sonderzug. Wohl nur 2016. Die wunderbare Atmosphäre, die imposante Architektur, das vielfältige kulturelle Angebot oder sogar die Geschichte, die durch den Zweiten Weltkrieg einen radikalen Umbruch erlebte, finden verstärkt das Interesse der Kulturhauptstadt. In diesem Jahr darf sich die Stadt jedenfalls so bezeichnen. Es lohnt sich aber auch so, das niederschlesische Breslau zu besuchen.
Ab heute Abend ist Breslau in einem Ausschnitt in Potsdam zu besichtigen. Der im Ruhestand lebende Pfarrer Joachim Jeutner initiierte eine Ausstellung in der Sternkirche mit Holzschnitten, die vom alten Breslau erzählen. Während einer Recherche zu seiner Familiengeschichte stieß der Theologe, der 23 Jahre Pfarrer an der Sternkirche war, auf Bodo Zimmermann, der hierzulande wohl weniger bekannt ist. Das Interesse verstärkte sich schließlich, als Jeutner die Holzschnittarbeiten des Künstlers vor Augen hatte. Er forschte mit Unterstützung von Zimmermanns Neffen, Gero Neumann, nach dem Lebensweg seines Großonkels und entdeckte manch Beachtens-, Liebens- und Bedenkenswerte.
Die Biografie Bodo Zimmermanns ist mit dem Schicksal Breslaus untrennbar verbunden. Der 1902 im Posener Land Geborene blieb nach einer Lithographenausbildung in Breslau. Er wurde ein gefragter Illustrator für Zeitungen und Bücher. Während der Wanderjahre führten ihn seine Wege unter anderen nach Nordafrika und Süddeutschland. 1931 bezog Bodo Zimmermann ein eigenes Atelier am berühmten Breslauer Ring. Sein Biograf Andreas Pampuch schrieb: „So urwüchsig wie er war, so originell war auch sein Heim. Seine besondere Leidenschaft waren – Uhren! Oft hungerte er tagelang, um so einen alten Veteranen erstehen zu können, den er mit viel Mühe und Geduld wieder in Gang setzte. Den Raum bevölkerte auch eine Schar gefiederter Sänger, die er über alles liebte. Eine besondere Attraktion waren ein brauner und ein grauer Eichkater!“ Von seinem Atelier, das sich unter dem Dach befand, genoss Zimmermann den reizvollen Blick auf sein geliebtes Breslau. Diese Stadt und auch das nahe Riesengebirge wurden seine bevorzugten künstlerischen Motive. Als Visualisierung entschied sich der Künstler für den Holzschnitt. Bei der Umsetzung spürt der Betrachter, dass Zimmermann den Widerstand des Holzes souverän brechen konnte, auch in den Nachdrucken. Dreizehn Holzschnitt-Reproduktionen sind in der Sternkirche zu sehen. Joachim Jeutner erzählt, dass durch Krieg und Vertreibung ein großer Teil der Arbeiten Zimmermanns verloren gingen.
Der Künstler musste 1939 in den Krieg ziehen. Als „Kriegszeichner“ wurde er eingesetzt. 1945 geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft nach Stalingrad. Während eines ersten Rücktransports kommt er in Frankfurt an der Oder als schwerkranker Mann an. Noch vor der Entlassung stirbt Bodo Zimmermann am 26. August 1945 auf dem Frankfurter Bahnhof. Die Beisetzung erfolgte in einem Massengrab.
Das deutsche Breslau endete im Mai 1945, das polnische Wroclaw musste seine Identität erst finden und den Menschen, die aus dem ostpolnischen Lwow – heute Lwiw in der Westukraine – angesiedelt wurden, eine Heimat werden. Bereits im Januar 1945 konnte Eva Zimmermann, die Frau des Künstlers, mit Sohn Wolfram Breslau verlassen. Sie erinnerte sich später: „Bei unserer Flucht blieben die Holzstöcke, von denen gedruckt worden war, und die Zeichnungen und Skizzenblöcke im Stahlschrank des Ateliers, und leider gelang es bis heute nicht festzustellen, welchen Weg all die einzigartigen Kunstwerke genommen haben mögen.“ Als in den 1950er Jahren der Bärenreiterverlag 48 Nachdrucke publizierte, haben Freunde und Bekannte Zimmermanns ihre Originale zur Veröffentlichung bereitgestellt. Sein enger Freund Andreas Pampuch hat sich immer wieder liebevoll um die Publizität des Künstlers verdient gemacht. „Heute finden wir in verschiedenen Museen mit schlesischen Archivarien, beispielsweise in Görlitz oder in Würzburg, inventarisierte Zeugnisse der Kunst Bodo Zimmermanns“, sagt Joachim Jeutner.
Digitalisierte Nachdrucke mit Ansichten aus Breslau und dem Riesengebirge wurden dem Pfarrer aus einer Sammlung zur Verfügung gestellt. Die USB-Aufzeichnung übergab Jeutner der Potsdamer Druckerei Rüß, die davon exzellente großformatige Ausstellungsexponate herstellte. In der Sternkirche, die regelmäßig Arbeiten von Künstlern präsentiert, kann man nun Breslau in seinen schönsten Ansichten in Augenschein nehmen, Orte, die böse und friedlich-hoffnungsvolle Zeiten erlebten: die imposanten mittelalterlichen Kirchen und das Rathaus, die malerischen engen Gassen, die klare Architektur der Universität, die bestaunenswerte Jahrhunderthalle, der gemütliche Christkindlmarkt. Oder eben auch Impressionen von einem erholsamen Spaziergang an der Oder, der erhebend-bewegende Blick auf das Riesengebirge mit der Schneekoppe.
Die Ausstellung ist vom 23. August bis zum 18. September in der Sternkirche, Im Schäferfeld 1, zu besichtigen.
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