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Von Klaus Büstrin: Ein Teufelskreis

Kleists „Die Familie Schroffenstein“ in der Inszenierung von Markus Dietz am Hans Otto Theater

Stand:

Peter ist tot. Mutter Eustache hält den kleinen Sohn wie eine Pieta in den Armen. Musik aus einer Bachkantate gibt dazu die stimmungsvolle Begleitung. Der Schmerz der Mutter ist unsagbar. Auch Vater Rupert von Schroffenstein aus dem Hause Rossitz ist voll tiefer Traurigkeit, ebenso die anderen Familienangehörigen. Doch dann findet Rupert als Erster Worte. Worte der Rache. Er fordert den Clan auf, das Haus der Warwands auszurotten. Übers Mikrofon. Die Kampfansage soll für jeden hörbar sein. Was die Wut so groß macht, ist der Vorwurf – oder vielmehr die vermeintliche Gewissheit –, dass an Peters Tod dessen Onkel Sylvester, Graf von Schroffenstein aus dem Hause Warwand, die Schuld trägt. Ja, mehr noch, dass dieser eigenhändig einen Mord begangen hat. Auslöser dieses Verdachts, der ein solcher bleibt, ist ein Erbvertrag zwischen den beiden verfeindeten Häusern: Sollte eines ohne Erben bleiben, so fällt der Besitz dem anderen Familienzweig zu.

Von Heinrich von Kleist stammt diese Story, die er im mittelalterlichen Rittergewand ansiedelte. „Die Familie Schroffenstein“ war sein erstes Stück. Im Jahre 1803 veröffentlichte er es anonym. „Eine elende Scharteke“ nannte er sein Drama. „Tut mir den Gefallen und leset es nicht“, schrieb er an seine Familie. Daran hielten sich vor allem die Theaterleute. „Die Familie Schroffenstein“ blieb 200 Jahre lang neben „Robert Guiskard“ Kleists unbekanntes Werk. Auch das Hans Otto Theater hat es in seiner über 60-jährigen Geschichte noch nie aufgeführt. Nun hält es derzeit auf vielen deutschen Bühnen Einzug, auch auf die Potsdamer.

Regisseur Markus Dietz hat versucht, in die krude Geschichte Klarheit und Stringenz zu bekommen. Und zwar mit einer gekürzten Spielfassung, die von gut drei Stunden auf eine Stunde und 50 Minuten eingeschrumpft wurde. Den höllischen Mechanismus der Beschuldigungen und des Verderbens holte er ins Gegenwärtige. Dem Zuschauer begegnet dennoch ein fast überbordender Mystery-Thriller, bei dem es abgeschnittene Finger, vertauschte Kleider, meuchelnde Herolde und willfährige Henker gibt. Die feudalen Potentaten, die Grafen, Ritter und Vasallen agieren wie gut situierte Bürger, die sich wegen eines Erbvertrages besitzgierig an den Kragen gehen. Doch der Dichter erzählt auch die Geschichte einer jungen Liebe, die à la Romeo und Julia von der zerstörerischen Kraft des Misstrauens in die Katastrophe getrieben wird.

Wand an Wand leben die „Kriegsparteien“. Ines Nadler hat ein überdimensionales Holzgerüst auf die Drehbühne gebaut, verdeckt mit weißem Papier, das man, wenn die eine Familie Rachegelüste schürt und die andere angreifen will, es aufreißt und durch die Fetzen den Gegner erreicht. Zum Schluss hat die Lust am Verderben so überhandgenommen, dass die Wand nur noch fragmentarisch erkennbar ist. Die Familien Rossitz und Warwand bleiben ebenfalls als „Ruinen“ zurück. Einen großen Teil ihrer Mitglieder mussten sie zu Grabe tragen. Nun betrauern sie ihre Kinder Agnes und Ottokar, die im Gegengeschlecht kostümiert, von den eigenen Vätern getötet werden. Die beiden treffen sich in den Bergen, also gleichsam zwischen den Fronten. Ines Nadlers exzellent „erfundene“ Wand ist auch der einsame Begegnungsort zwischen Ottokar und Agnes. Überhaupt gehören die Szenen zwischen den Liebenden zu den Höhepunkten der Inszenierung. Sie sind ihr Ruhepol und lassen zwischen den unendlichen Hasstiraden Spiralen der Gewalt, deren Ursprungskonflikt kaum mehr auszumachen ist, Momente einer schönen und stillen Poesie aufleuchten.

Der Teufelskreis aus Verleumdung, Beleidigung und Mord der Familien beginnt jeweils im engsten Kreis. Vor der Wand sitzen ihre Mitglieder und denken laut über Rache nach. Wenn man sich mal stärker „Luft“ machen möchte, erheben sie sich von den Stühlen. Dann treten sie ab, oftmals zu den im Zuschauerraum für sie reservierten Plätzen. Da ist das Spiel sehr zurückgenommen. Der Eindruck einer Oratorienaufführung überkommt dem Betrachter. Erst als der eifersüchtige Johann von Rossitz Agnes und Ottokar nachsteigt, klebt die Inszenierung nicht mehr so am „Rezitieren“, wird sie lebendiger. Die gebirgig-schroffe Sprache Kleists hört man aber mit einer kultivierten Sprachkultur, wie sie man am Hans Otto Theater lange nicht mehr vernahm.

Die Szenen, wo Menschlichkeit aufblitzt, gehören zu den Anrührendsten. Beispielsweise wenn der Verwandte Jeronimus von Schroffenstein zwischen den Familien vermitteln will und selbst Opfer ihrer Kriegsgelüste wird, wenn Eustache ihrem Rupert von der Liebe der Kinder erzählt, um sein Herz zu erweichen, wenn die Enkelin Agnes von ihrem Großvater mit stiller Liebe umgeben wird.

Fündig entdeckt Dietz realistische Vorgänge und entwirft genau das Widersprüchliche der im Schicksal verfangenen Figuren. Die Warwands mit Graf Sylvester, der vom Leben enttäuscht ist, fast in Melancholie verfällt ( Bernd Geiling) mit Gertrude, hysterisch, aber um Haltung bemüht (Andrea Thelemann). Graf Rupert von Rossitz, aggressiv, störrisch (Peter Pagel), Eustache, eingeschüchtert, doch um Ausgleich bemüht (Rita Feldmeier), Jeronimus von Schroffenstein, der beiden Familien mit Treue begegnet (Wolfgang Vogler). Und Elzemarike de Vos und René Schwittay als Agnes und Ottokar, die eifersüchtig von Johann (Eddie Irle) beobachtet, spielen mit eindrucksvoller Sicherheit eine junge Liebe zwischen ungelenker Körperlichkeit und ernstem Gefühl.

Johann von Rossitz, den man tot vermutet, jedoch nur schwer verletzt wurde, irrt am Schluss als Narr durch die Szene. Mit den Worten, dass das ganze Geschehen ja nicht so böse gemeint sei, endet in Potsdam die Tragödie der Schroffensteins. Sollte nun deutlich gemacht werden, dass die abstruse Familiengeschichte eigentlich eine absurde Tragikomödie ist? Dann wäre es zu spät, denn die Inszenierung hatte trotz des Mordens viele feierliche, ja sakral wirkende Momente parat. Mehr Ironie, die nur hin und wieder aufleuchtete, hätte aber dem Ganzen, das vom Publikum freundlich aufgenommen wurde, sicherlich gut getan.

Nächste Vorstellung: Freitag, 26. März, 19.30 Uhr. Anschließend Publikumsgespräch mit den Schauspielern. Karten unter Tel: (0331) 98 11 8

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