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Kultur: Ein Vermächtnis in Wort und Bild

Rückblick auf Leben und Werk von Gertrude Sandmann mit einer Ausstellung im Alten Rathaus

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Das künstlerische Werk der Berliner Grafikerin Gertrude Sandmann entwickelte sich im Stillen. Nur einem überschaubaren Kreis Eingeweihter war bislang Leben und Arbeiten der couragierten Käthe-Kollwitz-Schülerin und späteren Frauenrechtlerin ein fester Begriff. Mit der Ausstellung „Vom Sehen und Leben“, die am Samstag im Alten Rathaus eröffnet wurde, kann sich diese Situation nun endlich ändern.

Rund 80 Grafiken, Tagebucheinträge und Hintergrundinformationen zum Leben und Werk Gertrude Sandmanns blättern eine interessante Frauenbiografie vor uns auf. Die zuvor vom Vergessen bedrohte Berliner Grafikerin wird nicht nur als Künstlerin, sondern auch als Zeitzeugin gewürdigt. Intensive Forschungsarbeit der Kuratorin Anna Havemann bereitete dieser optisch sehr einfühlsam und geschickt präsentierten Ausstellung den Boden. Im April des vergangenen Jahres hatte die Kunsthistorikerin das grafische Oeuvre Gertrude Sandmanns erstmalig in Augenschein genommen. Ihre erste „Begegnung“ mit der so gut wie verschollenen Künstlerin auf einem Dachboden im Potsdamer Umland rüttelte Havemann auf. Hier befindet sich der Nachlass einer Künstlerin, der außer etwa 650 Grafiken zahlreiche Tagebücher, Briefe und Artikel umfasst.

Peter Horváth, der diesen Nachlass betreut, ist es ein Anliegen, das ihm überantwortete Vermächtnis nach außen zu tragen. Geht es doch nicht nur darum, das mittlerweile fast unbekannte grafische Lebenswerk, sondern auch die bemerkenswerte Biografie der Künstlerin als Zeitzeugin zu würdigen.

Sein Wunsch fiel auf fruchtbaren Boden. Die für die Ausstellung gründlich recherchierten Fakten zu Leben und Werk der Grafikerin fließen in locker in die Räume hinein gehängte Banner ein, die die chronologisch und thematisch untergliederten Bereiche der Präsentation informativ kommentieren. Der Ausstellungsbesucher trifft auf die sich zur gleichgeschlechtlichen Liebe bekennende Jüdin Gertrude Sandmann, die trotz aller Beschränkungen und Verfolgungen aufrecht und kompromisslos durchs Leben ging. Als es schließlich darum ging, die eigene nackte Haut zu retten, simulierte Gertrude Sandmann per Abschiedsbrief ihren Freitod, um den Nazi-Schergen zu entgehen. Dann tauchte sie unter, überlebte den Holocaust dank der Zivilcourage enger Freunde, die ihr Unterschlupf gewährten. Trotz der erfahrenen Entbehrungen und Demütigungen blieb sich die Künstlerin bis zuletzt treu. In ihrem Lebens-, Liebes- und Schaffensdrang ungebrochen, erhob sie im Alter immer mehr ihre Stimme gegen die Diskriminierung von Lesben und beteiligte sich aktiv in der Autonomen Frauenbewegung. Diese Aspekte werden in der Ausstellung diskret berührt. Dafür aber umso mehr den Grafiken und den Tagebucheinträgen eine wirkungsvolle Bühne bereitet. Dass die Eifersucht unter liebenden Frauen viel stärker sei als zwischen Mann und Frau, notierte die Künstlerin in einem ihrer Tagebücher. Doch ihre in großer Zahl entstandenen weiblichen Akte künden von Respekt und Zärtlichkeit. Das Private, ja Intime dieser Blätter bestimmt die künstlerische Handschrift Gertrude Sandmanns auch in ihren Stillleben, Porträts und Interieurs oder Fensterausblicken. Stilistisch beinahe unberührt von den wechselnden Einflüssen und Strömungen der Zeit gibt sich die Künstlerin während ihres 60 Jahre umfassenden Werkes. In einigen Frauenbildnissen jedoch pflanzt sich das Vorbild ihrer Lehrerin Käthe Kollwitz unverkennbar fort.

Mit der Ausstellung unternimmt das sich aus Studentinnen der Studiengänge Kulturarbeit und Design der Fachhochschule Potsdam zusammensetzende Projektteam um Anna Havemann und der Projektkoordinatorin Frauke Luther den Versuch, ein möglichst geschlossenes Bild entstehen zu lassen. Die als Retrospektive antretende und als Wanderausstellung konzipierte Schau ist eine wesentliche Station der begonnenen Aufarbeitung. Nach der Inventarisierung des gesichteten Nachlasses bei Peter Horváth stehen weitere Aufgaben an. Als besondere Herausforderung dürfte sich die Lokalisierung eines aktuell nicht näher eingrenzbaren zweiter Teil des künstlerischen Werkes von Gertrude Sandmann erweisen, der seinerzeit nicht in die Hände der Mutter Horváths überging. Almut Andreae

Die Ausstellung „Vom Sehen und Leben“ ist bis zum 31. Oktober, dienstags bis sonntags, 10 bis 18 Uhr, geöffnet. Der Eintritt ist frei

Almut Andreae

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