Kultur: Ein Versuch, Millionen Leben zu retten
Soldaten und Christen im Widerstand gegen Hitler
Stand:
Soldaten und Christen im Widerstand gegen Hitler „Widerstand im Schatten der Garnisonkirche" war der Vortrag überschrieben, den Dr. Winfried Heinemann in der Gedenkwoche zum 60. Jahrestag des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte über „Soldaten und Christen gegen Hitler" hielt. Selbstverständlich zitierte der Oberst vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) Potsdam die Tischrede Henning von Tresckows, die der führende Kopf des militärischen Widerstands anlässlich der Konfirmation seiner Söhne in der Garnisonkirche am 11. April 1943 gehalten hatte ein Bekenntnis zum preußischen Ideal der Einheit von „Bindung und Freiheit". Ansonsten aber erfuhren die Zuhörer kaum etwas über die Militärgemeinde dieser Kirche, der nach einer Übersicht des Stadtkirchenamtes 30 Widerständler angehörten. Auf eine Nachfrage antwortete Heinemann, dass die Militärgemeinde, der die meisten Offiziere durch ihren Kriegseinsatz nur zeitweilig angehörten, nicht zu einem gedanklichen oder gar organisatorischen Zentrum der Opposition werden konnte. Dieses Bild vermitteln die bisherigen Forschungsergebnisse, die die Hoffbauer-Stiftung auf Hermannswerder, die Friedrichskirche in Nowawes, die Pfingstgemeinde am Neuen Garten, die Heiligen-Geist- und die Erlöserkirche als jene Orte nennt, an denen sich Pfarrernotbund und Bekennende Christen trafen, um gegenüber dem NS-Regime kirchliche Eigenständigkeit zu behaupten. Die Garnisonkirche wird nicht genannt. Das könnte aber eher am Stand der Forschungen liegen, denn die beträchtliche Zahl der Militärkirchengemeinde angehörenden Widerständler wäre sonst schwer zu erklären. Bekanntlich hatten die „Deutschen Christen", die das nationalsozialistische Regime voll unterstützten, 1933 überall in Brandenburg die Kirchenwahlen gewonnen nur in Potsdam nicht. Der Katholik Heinemann überschritt den Schatten der Garnisonkirche bei weitem, wenn er seine Zuhörer bis nach Münster zu Kardinal Clemens August Graf von Galen führte, der die Rassen- und die Kirchenpolitik der Nazis öffentlich verurteilt hatte. Wie der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer und wie die Militärs habe er aber den Krieg an sich nicht im Widerspruch zur christlichen Lehre gesehen. Besonders der Feldzug gegen den „gottlosen Kommunismus" in der Sowjetunion sei von vielen Christen bejaht worden. Der Widerstand habe sich vielmehr an der chaotischen und verbrecherischen Kriegsführung entzündet. Dabei wurde zuerst das Verbrechen am eigenen Volk gesehen, nämlich die unnötige Opferung von Hunderttausenden Soldaten (Beispiel Stalingrad), erst dann die Mord- und Ausrottungspolitik gegenüber der Zivilbevölkerung in den besetzten osteuropäischen Gebieten. Z.B. habe sich der nach dem missglückten Attentat hingerichtete Leutnant Peter Graf Yorck von Wartenburg lediglich gegen Maßnahmen gewandt, die nicht durch die Nürnberger (Rassen-)Gesetze gedeckt waren. Mit seinem Exkurs versuchte der Historiker klarzustellen, dass man den nationalkonservativen Widerstand nicht nach heutigen moralischen Maßstäben bewerten darf, sondern ihn in seiner Zeit begreifen muss. Erst die Entwicklung nach dem nunmehr 60 Jahre zurückliegenden Ereignis habe die Kirche zur unbedingten Friedensbejahung geführt. Dies blieb nicht unwidersprochen. Die Verschwörer des 20. Juli 1944 könnten keine Vorbilder für uns sein, da sie den Angriffskrieg mit vorbereitet und geführt haben, wandte ein Zuhörer ein. Heinemann erwiderte darauf, dass die Militärs nicht voraussehen konnten, welch verbrecherischen Charakter dieser Krieg annehmen würde. Die Tatsache, dass sie nach anfänglicher Bejahung des Nationalsozialismus in einem schwierigen Entwicklungsweg zum Widerstand fanden, lasse sie sehr wohl als Vorbild erscheinen. Mit ihrem Umsturzversuch hätten sie versucht, das Leben von Millionen deutschen und anderen Kriegsbetroffenen zu retten. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: