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Kultur: Eine Aufregung aus der DDR

Alexander Hawemann inszeniert Ulrich Plenzdorfs „Legende vom Glück ohne Ende“ am Hans Otto Theater

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Alexander Hawemann inszeniert Ulrich Plenzdorfs „Legende vom Glück ohne Ende“ am Hans Otto Theater Von Ulf Brandstädter Der Name Plenzdorf war immer ein Störsender im ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat. Schon vor dem 1973 entstandenen Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“. Auch die lupenreine kommunistische Herkunft des Autors und der Umzug seiner Familie aus dem Westteil Berlins in den Osten konnten daran nichts ändern. Die Macht in der DDR wollte ihre Menschen vor unzumutbarem Gefahrengut schützen. Im Falle der „Legende vom Glück ohne Ende“ hielt der Bannfluch vier Jahre. Dann brachte Freya Klier 1983 die Uraufführung am Theater der Stadt Schwedt heraus und den Willen Ulrich Plenzdorfs auf die Bühne – „eine Paula, eine unauffällige, alltägliche als Gegenheldin zu den politisch gewollten.“ Und so verdient die junge Frau an der Flaschenannahme einer Kaufhalle für sich und ihre kleine Tochter den Lebensunterhalt. Mit den Männern das waren bisher immer nur so Sachen, wirklich richtig ab geht die Post erst beim wild ausgelassenen Tanzen. Und eines Tages mit Paul. Der verfällt ihr. Der verlässt für sie das protokollarisch bequeme Netzwerk der DDR-Nomenklatura, um für ein Viertel seines vorigen Gehaltes jetzt aus Paulas Kaufhalle ein sozialistisches Einkaufsparadies zu machen. Als endlich Nachwuchs dieser heftig kolportierten Liebe auf die Welt kommt, überlebt Paula die Geburt des Kindes nicht. Paul ist vor Entsetzen wie gelähmt. Das wittert die Staatssicherheit als Chance, ihren abtrünnigen Sohn wieder auf die sozialistischen Erfolgspfade zu lenken. Sie schickt Paul eine Laura auf die Fersen, in der er aber immer nur seine Paula sieht. Er arbeitet wieder als Herr Dipl. rer. pol., erleidet einen Unfall und stiehlt sich, wieder genesen, unerkannt aus seinem Rollstuhl auf Nimmerwiedersehen davon. Laura bleibt allein zurück. 89er Retroblick So erzählt Ulrich Plenzdorf das Geschehen im raunenden Ton einer wundersamen Begebenheit, die in teils märchenhafter Verkleidung knallharte Botschaften verschickte. Die Fassung von Alexander Hawemann gewichtet anders, nimmt das Stück gänzlich auseinander und setzt es dann nach seinen Intentionen wieder zusammen. Plenzdorfs Texte kommen in einem anderen Kontext daher. Es gibt hinzuerfundene Figuren (Margot Honecker) und anders interpretierte Schlussbilder. Das geschmeidig, giftig Infiltrierende des Subversiven bei Plenzdorf ist hier weg und der hart pointierte 89er Retroblick mit dem Stasitrauma da. Ein chorisches Trommelfeuer aus Spitzelmund schießt nun die gute alte Story in den Theaterhimmel und lässt sie unsanft landen. Wie eine Tretmine geht das sensibel geflochtene Plenzdorfsche Konstrukt hier hoch und verliert dabei viel von seinem mentalen Rückgrat. Es wird ein Geheimdienstkarussell angeworfen, das mit seinem perfiden Vernichtungswillen um ein kaum noch zu ortendes Zentrum rotiert. Der Feind ist zwar ausgemacht, aber so schrill etabliert, dass aus dem flehenden Gesang von der legendären Liebe eher die trashige Nummer einer mafiösen Politgang geworden ist. Es kommt also weniger zu einem Dialog aus Wurf und Gegenentwurf auf der Hawemannschen Bühne als vielmehr zum schwarzhumorigen Krimi aus Schweinshausen, in dem Horch und Guck mit knackigem Regiewitz Menschen kaputt spielen. Die Bühne (Georg Burger) als Synthese aus kleinteiligem Passepartout in trister Tapete mit Öffnung zum präsidialen Großraum lässt große Bilder zu. Schauspielerisch verdankt der Premierenabend Alexandra Röhrer seine buchstäbliche Rettung. In nur wenigen Tagen hat sie für eine erkrankte Kollegin die Doppelrolle der Paula / Laura übernommen und beide Partien passgenau ausgefüllt. Ihr zur Seite agiert ein Phänomen. Wolfgang Menardis Paul ist eine Wucht. Die Balance zwischen erfüllter äußerer Inszenierungstechnik und darunter pochendem Menschenherz beim Schau-Spielen gibt seinen Texten die simultane Bauch-und-Kopf-Stimmigkeit, die fesselt. Als sein angetrautes dusseliges Blondchen kitzelt Katrin Schwingel viel Vergnügen aus der Ines. Spitz und flink dümmelt sie sich in exhibitionistischer Einfalt durch Situationen, die mit ihr erst richtig komisch werden. Ähnlichen Spaß hatte ich an Jörg Seyer als moderierendem Entertainer und Stasiganove. Der zarte, drahtige Mann kann sich schnell dünn machen, nach vorn schnellen und Text ganz verkantet auch noch bizarr vertanzen. Da implodiert ein Komödiant mit dem Gespür für die ganze Szene. Christian Kuchenbuch, Torsten Spohn, Olaf Polenske, Sabine Scholze als blaugespülte Margot mit lächelnd quittiertem Spitzelerfolg, Maxim Mehmet und Robert Beckmann skizzieren ein ganzes Breitbandspektrum politisch deformierter Ostlebensläufe. Auch Mitglieder des Theaterjugendklubs bringen kleine Zellen parteidoktrinärer Politverziehung mit großen Sprüchen in“s Spiel. Zu flach geatmet Warum der ganze Abend trotz heftigen moralischen Anliegens, guter Schauspieler und einer potenten Regie nicht so richtig satt macht, mag vielerlei Gründe haben. Mitunter hatte man das Gefühl, schon wieder in einer Spaßgesellschaft gelandet zu sein. Der überwiegend laute Grundton der Aufführung mit häufig zu Comicfiguren verkürzten Typen lässt einen in der Kurzweil vielleicht einfach zu flach atmen. Als konzeptionelles Verdienst ist dem HOT mit einem Blick zurück der akut nötige Vorstoß in den finsteren Raum der politischen Hygiene gelungen. Das ist auch gut so. Wenn schon nur noch rudimentär in der real existierenden Marktwirtschaft vorhanden, dann gehört sie, die Moral, wenigstens immer wieder auf die Bühne. Im Spiel für den Ernstfall. Vielleicht doch noch zu unser aller Rettung.

Ulf Brandstädter

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