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Kultur: Eine brillante Darbietung Thomas Bernhard-Lesung im T-Werk

Wien sei eine schreckliche Stadt, die den gänzlich charakterlosen Österreichern nur allzu gut zu Gesichte stehe. Einen wie Reger hasse man dort, denn „Genie und Österreich vertragen sich nicht“.

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Wien sei eine schreckliche Stadt, die den gänzlich charakterlosen Österreichern nur allzu gut zu Gesichte stehe. Einen wie Reger hasse man dort, denn „Genie und Österreich vertragen sich nicht“. Da gibt es keinen Zweifel für Reger, den Protagonisten in Thomas Bernhards 1985 erschienenem Roman „Alte Meister“. Vollkommenheit ist fehlerhaft, weiß Reger, der seit 30 Jahren schon jeden zweiten Vormittag im Bordone-Saal des Kunsthistorischen Museums vor dem „Weißbärtigen Mann“ von Tintoretto auf seinem Bänkchen hockt und in einer endlosen Suada alle Kunst und Gesellschaft niederschimpft, alles was ihm in den Sinn kommt. Abenteuerlich verschachtelte Sätze sind es, in denen sich Wiederholungen tummeln, fast rhythmisch gesteigert und variiert werden. Ein genialer Textfluss, der sich dann so richtig entfaltet, wenn ihn ein begnadeter Vorleser auf außergewöhnliche Weise interpretiert. In diesen Genuss kamen die Gäste am Samstagabend im T-Werk.

Der Schauspieler Dominik Stein hat seinen Text auf einem Notenständer abgelegt, obwohl er ihn sicherlich auch frei rezitieren könnte, so sehr verinnerlicht wirkt das Vorgetragene. Selten hat man Pathos so gut bemessen und wohltuend erlebt wie an diesem Abend. Stein ist geradezu in die Rolle Regers vertieft, und er spielt und spricht sie grandios auf der ganz in Schwarz gehaltenen, spärlichen Bühne, wo als einziger Kontrast das rote Kleid der Sopranistin Juliane Sprengel leuchtet, wenn sie vortritt, mit betörender voller Stimme „Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn“ singt, und Christian Deichstätter mit dem Rücken zum Publikum sie am Klavier begleitet.

Dann wieder Stein, der die Erzählung Atzbachers über Reger und vornehmlich dessen herrliche Monologe darbietet. Die Tiraden sprühen. Verlogene Staatskünstler seien sie allesamt, die alten Meister – man höre Bach und Mozart und höre ihr Scheitern, man höre das lärmende Getöse Beethovens, erfreue sich an der Mickrigkeit Rembrandts, Velázquez’ und Dürers, lobe die Armseligkeit Adalbert Stifters oder auch eines Anton Bruckners; nichts als unerträgliche Kitschmeister, welche nur die Kunst verwischten. Und Heidegger erst, ein Marktschreier und Schwarzwaldphilosoph, alles von ihm sei aus zweiter Hand.

Doch Reger will nicht nur die alten Meister von ihren Sockeln stürzen, er prangert auch die Kunsthistoriker, die in ihren Katalogen blätternden Museumsbesucher, die Lehrer und sturzbachartig alle Österreicher an. Mehlspeisenesser, die selten ihre Kleidung wechselten und sich noch seltener wüschen. Kein Wunder, gebe es doch auch in Österreich nur verwahrloste Aborte, skandalöse Toiletten. Ja, skandalös und immer wieder skandalös. Welche Wortmelodie klingt doch in dieser Sprachmacht, aus der die wunderbaren, bissig amüsanten Schmähreden sprießen in kunstvoll verschraubten Sätzen, die Dominik Stein in eher ruhigem Tempo, mal lauthals klar, mal theatralisch flüsternd belebt und mit Gesten und Mimiken untermalt, sodass selbst das Trinken aus einem Wasserglas wie ein Bestandteil dieser Performance wirkt. Das ist einfach großartig! Auch der anhaltende Beifall der gut 80 Gäste späterhin, nach anderthalb Stunden lässt keinen anderen Schluss zu.

Doch lässt sich, wie so oft bei Bernhard, der Text nicht auf die bösen, vernichtenden Worte und die komischen Marotten des Haupthelden reduzieren. Denn nicht nur am Ende dieser querschnittartigen Handlungswiedergabe des Romans steht Regers Klage über den Tod seiner Frau, die er einst in dem Bordone-Saal kennenlernte. Dieser Verlustschmerz zieht sich wie ein roter Faden durch den Text, berührt alle und erklärt zugleich Regers enttäuschte Kunstliebe: „wir können uns noch so viele große Geister und noch so viele Alte Meister als Gefährten genommen haben, sie ersetzen keinen Menschen“. Daniel Fügel

Daniel Fügel

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