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Das gläserne Theater. Die Bühne als politischer Ort – darüber debattierte der Deutsche Bühnenverein am Wochenende im Hans Otto Theater. Doch wie gelingt künstlerische Demokratie? Indem Regisseure die gleichen Rechte wie Autoren bekommen, Texte zu verändern? Indem Bürger Inszenierungen mitgestalten?

© D. Leistner

Deutscher Bühnenverein: Eine Bühne für die Bürger

Der Deutsche Bühnenverein diskutierte im Hans Otto Theater aktuelle kulturpolitische Fragen

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Theater spiegelt die Politik. Aktuell oder zeitlos, in irgendeiner Form dreht sich das, was auf den Bühnen passiert, immer um das, was ist. In kaum einer Sparte greifen Kunst und Realität so eng ineinander. Theater führt die Strukturen der Macht vor. Manchmal ist es aber für die Theater als Institution auch an der Zeit, sich mit dem Einfluss der Macht auf sie selbst zu beschäftigen. Das etwa tut der Deutsche Bühnenverein, der Interessen- und Arbeitgeberverband der Theater und Orchester, einmal im Jahr – zuletzt an diesem Wochenende in Potsdam.

Zwei Tage lang ging es im Hans Otto Theater darum, wie die Bühnen selbst mit politischen Herausforderungen umgehen wollen. Das Urheberrecht etwa müsse, so Barbara Kisseler, Hamburger Kultursenatorin und frisch gewählte Präsidentin des Bühnenvereins, den Bedürfnissen der Theater angepasst werden. Das heißt konkret: mehr Rechte für die Regisseure, Stücke mit fremden Texten anzureichern, zu kommentieren, zu verfremden. Das Thema stand natürlich nicht ohne Grund auf der Agenda: Erst zuletzt hatte es – mal wieder – einen erbitterten Streit zwischen den Brecht-Erben und Frank Castorf um dessen „Baal“-Inszenierung gegeben. Suhrkamp und die Erben bekamen recht, das Stück darf nicht mehr aufgeführt werden. Letztlich geht es bei der Frage auch darum, was stärker wiegt – die künstlerische Freiheit des Regisseurs oder die Persönlichkeitsrechte des Autors.

Tobias Wellemeyer, Intendant des Hans Otto Theaters, der für die kommende Spielzeit einige ganz aktuelle Stoffe, etwa Lutz Seilers „Kruso“, in den Spielplan aufgenommen hat, sieht das Thema ambivalent. „Wir hier am Haus streiten selbst oft darüber.“ Er selbst tritt dann eher für die Freiheit der Regisseure ein, Dramaturgin Ute Scharfenberg sei eher auf Autorenseite.

Streit auf großer, in diesem Fall feuilletonistischer Bühne gab es zuletzt auch, als Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner vorschlug, ganze Premieren live im Netz zu übertragen. Eine Idee, die der Bühnenverein, gelinde gesagt, für ziemlich unsinnig hält. Wie die Verlage, wie die Musikindustrie, haben natürlich auch die Theater kein Interesse daran, ihre aufwendige Arbeit kostenlos im Netz ans Publikum zu geben. Denkbar sei es aber, künftig einzelne Arbeiten ausschließlich fürs Netz zu produzieren. Der virtuelle Raum, das wissen die Theater auch, ist eben auch ein Ort, an dem es sich sehr leicht mit einem sehr breiten Publikum in Kontakt treten ließe. Auch hier sind aber noch urheberrechtliche Fragen zu klären, der Bühnenverein will deshalb eine Bundesratsinitiative in Sachen Urheberrecht starten. Allerdings, so Kisseler, nicht mehr vor der Sommerpause. Wie konkret sich diese Forderungen des Bühnenvereins darin formulieren sollen, konnte sie noch nicht benennen – „wir haben gerade erst angefangen, darüber zu diskutieren“. Ob im Netz oder auf der Bühne – letztlich ging es natürlich darum, welche Rolle Theater künftig überhaupt noch für die Gesellschaft spielen.

Theater habe längst nicht ausgedient als Ort gesellschaftlicher Reflexion, sagte Kisseler. „Es ist einer der letzten Orte, an denen es nicht um sogenannte shareholder values gehe, an dem Menschen mehr investieren, als sie je zurückbekommen werden.“ Weil sie etwas mitteilen wollen. Und gerade wenn Menschen sich zurückziehen aus dem politischen Diskurs, von Fragen, die sie eigentlich betreffen, der Umgang mit Flüchtlingen etwa, könne Theater das auffangen – als Ort, an dem diese Dinge sinnlich verhandelt werden. Sprich: Was im oft glattgespülten Politikersprech fremd und abstrakt erscheint, kann als Bühnendrama plötzlich relevant erscheinen.

Trotzdem bleibt natürlich auch für die Theater die Frage, wie sie die Zuschauer langfristig an sich binden wollen. Wenn sie Orte gesellschaftlicher Relevanz und offener Debatten sein wollen, muss das Publikum teilnehmen, partizipieren können. Bürgerbühnen – wie sie bislang in Dresden existieren, wo Laien in die professionellen Strukturen des Theaters eingebunden werden – sind eine Möglichkeit. Wer mitmacht, bindet sich emotional natürlich ganz anders an ein Haus, aber auch an die Idee des Theaters, als jemand, der nur konsumiert. Ein anderer Weg sind dokumentarische Produktionen, wie sie die Gruppe Rimini Protokoll seit mehr als zehn Jahren inszeniert – Stücke, die auf Interviews und Nicht-Schauspielern, sogenannten Experten des Alltags, basieren. Am Hans Otto Theater sind solche Inszenierungen bisher nicht auf dem Spielplan.

Eine Bürgerbühne, das sagt auch Wellemeyer, wäre ein Traum – allerdings koste die Bürgerbühne in Dresden eine Million Euro im Jahr. Die muss man erst einmal haben. Und Wellemeyer ist nicht der Typ, der so ein Projekt schludrig angeht. Und so leidenschaftlich man sich am Hans Otto Theater in die Kinder-und Jugendarbeit stürzt – der Theaterjugendclub ist schließlich auch eine Form der Teilhabe –, hat Wellemeyer doch eine klare Haltung: Das Partizipative als Mittel zur Heilung sozialer Wunden – „Ist das nicht naiv?“, fragt er. Müsse das Theater nicht viel mehr in Distanz gehen zur Wirklichkeit? „Nicht aus ästhetisierenden Gründen, sondern um die Wirklichkeit überhaupt erst wieder besser sehen zu können.“ Zwischen diesen beiden Haltungen sei man bei den Debatten hier an diesem Wochenende auch erst einmal stehen geblieben und auseinandergegangen - „weil man das nicht lösen kann“, so Wellemeyer. Letztlich müsse beides passieren. Nebeneinander. Müssten Menschen beteiligt werden – und trotzdem Abstand zur Wirklichkeit genommen werden. Schließlich ergibt sich ein klares Bild der Macht, der Verhältnisse, erst aus vielen verschiedenen Perspektiven.

nbsp;Ariane Lemme

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