Kultur: Eine entfesselte Klangcollage Der „Panzerkreuzer Potemkin“ im Filmlivekonzert
„Hier spricht der Film seine Muttersprache“, schwärmte Alfred Polgar, der Meister der spitzen Feder, nachdem er den „Panzerkreuzer Potemkin“ gesehen hatte. Schon bei den Premieren 1925 in Moskau und Berlin sowie 1929 in New York umgab den Film von Sergej Eisenstein der Nimbus eines Meisterwerks.
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„Hier spricht der Film seine Muttersprache“, schwärmte Alfred Polgar, der Meister der spitzen Feder, nachdem er den „Panzerkreuzer Potemkin“ gesehen hatte. Schon bei den Premieren 1925 in Moskau und Berlin sowie 1929 in New York umgab den Film von Sergej Eisenstein der Nimbus eines Meisterwerks. Die ersten Zuschauer waren hingerissen von der bildnerischen Wirkungskraft des Films – doch was für die einen ein Triumph der jungen Filmkunst war, betrachteten andere als mächtiges Propagandamedium ersten Ranges. Dazu gehörte nicht nur Gustav Stresemann, sondern etwas später auch Joseph Goebbels, der den Film sofort verbot, aber zugleich forderte, ihm einen „deutschen Potemkin“ zu drehen.
Nicht zuletzt die Musik von Edmund Meisel verhalf dem „Panzerkreuzer Potemkin“ zu seinem Welterfolg. Dem Dirigenten Helmut Imig gebührt das Verdienst, Meisels Musik der neuen Filmrekonstruktion von Enno Patalas angepasst und instrumentiert zu haben. Gerade in der speziellen Kombination von Bild und Livemusik verströmt der Potemkin-Film bis heute ein atemberaubendes Pathos, wie die Aufführung im Nikolaisaal unter Leitung von Helmut Imig mit dem Filmorchester Babelsberg bewies.
Edmund Meisel, der in Berlin zahlreiche revolutionäre Theaterstücke von Erwin Piscator instrumentiert hatte, komponierte nach Rücksprache mit Eisenstein eine entfesselte Klangcollage aus „Rhythmus, Rhythmus, Rhythmus“. Trotz dieser eindeutigen Vorgaben gibt es immer wieder wohldosierte Ruhepunkte in der Musik. Analog zu den Bildern laden sie zum Atemholen für den nächstfolgenden noch größeren Kraft- und Gewaltakt ein. Das beginnt mit den Bildern der schlafenden Schiffsbesatzung in den Hängematten, verweilt im langen Intermezzo des dritten Filmakts mit dem Zwischentitel „Ein Toter ruft auf“ und findet sich in den Nachtszenen des Meeres und an Bord vor der letzten großen Konfrontation. Abgesehen von der soghaften dramaturgisch-musikalischen Erzählstruktur faszinieren vor allem die Einstellungen und die Schnitttechnik. Der Film lebt von vehementen Kontrasten. Großaufnahmen von einzelnen Gesichtern wechseln mit imposanten Massenszenen von mehreren tausend Komparsen. Dabei führen die Bilder oft ins Abstrakte, wie bei der Menschenschlange auf der Mole – senkrecht mitten durch das Bild, während rechts und links nur Wasser zu sehen ist. Das Motto: „Einer für alle – alle für einen“ findet so eine fast mathematische Umsetzung.
Wohl kaum ein Zuschauer wird die marschierenden Soldaten auf der Treppe von Odessa vergessen, die alles niederschießen, was ihnen den Weg versperrt. Erst recht nicht, wenn diese Schritte im exakten Rhythmus unerbittlich musikalisch eskortiert werden. Nicht nur an dieser beeindruckenden Stelle stellte das Filmorchester sein Können unter Beweis. Maschinenszenen und Maschinenmusik in unnachgiebig zunehmender Wucht beherrschen den fünften Akt. Im Getümmel der Volksaufstände erklingen auch mal die ersten Takte der „Internationale“. Zweimal wird die rote Fahne gehisst und auch eine Lenin-Statue ist im Hintergrund zu sehen. Der „Panzerkreuzer Potemkin“ zeigt die demagogischen Möglichkeiten des Films ganz unverhohlen und direkt. Ein Revolutionsfilm, der ein Meilenstein der Filmgeschichte geworden ist.
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