Kultur: Eine Frage des Gewissens
Michael Erbach stellt Erzählband vor
Stand:
Es ist das Weinen eines Kindes, das der ohnehin schon so dünnen Fassade, mit der sich Carola notdürftig zu schützen versucht, tiefe Risse verpasst. „Ein fremder Laut in diesem Haus, wo Krankheit und Tod die Themen der Gespräche bestimmten, ein Rentner dem anderen nachspionierte. Er gehörte nicht hierher. Schröder fiel weg. Winters? Irgendwo im Urlaub. Als sie bei Frau Jespe klingelte, wusste sie, dass das Babyweinen aus ihrer Wohnung kam.“
Carola ist Volontärin bei einer Potsdamer Tageszeitung, irgendwann in den 80er Jahren. Bei der alte Frau Jespe in der Egon-Schultz-Straße lebt Carola zur Untermiete. Ein kleines, schmuckloses Zimmer, das aber genau dem Gemütszustand der jungen Frau entspricht. Als unerwartet das Baby bei Frau Jespe auftaucht, kommen Erinnerungen in Carola hoch, die ihre dünne Fassade zerbrechen lassen. Als sie später in ihrer Zeitung erfährt, dass in Potsdam ein Baby vermisst wird, ist sie vollends verwirrt.
„Die Nachricht“ ist der Titel dieser Kurzgeschichte, die Michael Erbach geschrieben hat. Zusammen mit der Erzählung „Die Glosse“ ist sie in einem schmalen Buch im Potsdamer Verlag für Kurzes erschienen. Am kommenden Montag stellt Erbach, Chefredakteur dieser Zeitung, die beiden Erzählungen im Literaturladen Wist vor.
Mit „Tiefer See“ veröffentlichte Michael Erbach 2003 sein erstes Buch. Ein Horrorthriller, der ein düsteres Zukunftsbild von Potsdam zeichnet. In „Tiefer See“ jagen die beiden Kriminalisten Jonathan Krafft und Jürgen Klose einen brutalen Serienkiller. Beide aber ahnen nicht, dass tief unter der Erde eine noch viel größere Gefahr für das 1000-jährige Potsdam lauert. In den Kurzgeschichten „Die Glosse“ und „Die Nachricht“ dagegen beschäftigt sich Erbach weniger mit martialischen Schreckensszenarien, sondern stellt die inneren Gewissenskämpfe seiner Figuren in den Vordergrund. Zwei Menschen, die sich entscheiden müssen. In „Die Glosse“ ist es der Journalistikstudent Jonas, der am Ende still kapitulieren wird. In den Jahren 1988 und ’89 hat Erbach diese Erzählung geschrieben. Im Februar 1990 wurde sie, damals noch unter dem Titel „Jonas“, mit dem Hans-Marchwitza-Literaturpreis ausgezeichnet, einem Literaturpreis für Nachwuchsautoren, der an Michael Erbach zum Ende der DDR hin zum letzten Mal vergeben wurde. Dann verschwand seine Erzählung für über 20 Jahre in der Schreibtischschublade. D.B.
Michael Erbach liest am Montag, 26. November, um 20 Uhr im Literaturladen Wist, Brandenburger, Ecke Dortustraße. Der Eintritt ist frei
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: