Von Jana Haase: Eine Geschichte, die frieren macht
Am Ort des Geschehens: Das Berliner „theater 89“ zeigt Krolkiewiczs Erinnerungsbuch „Hafthaus“ in der Lindenstraße
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Es wird immer dunkler, immer kälter. Und das liegt nicht nur an dem kühlen Herbstwetter, gegen das sich die zahlreich erschienenen Zuschauer im Innenhof des ehemaligen Untersuchungsgefängnisses der DDR-Staatssicherheit in der Lindenstraße 54/55 mit den ausgeteilten Decken wappnen. Der karge Innenhof, flankiert von vergitterten Fenstern, ist an diesem Donnerstagabend erstmals zur Bühne geworden, für ein Gastspiel des „theaters 89“ aus Berlin. „Hafthaus“ nimmt die Zuschauer mit auf einen düsteren Trip in die DDR-Wirklichkeit. Es ist diese Reise, die frösteln lässt.
Erzählt wird die Geschichte des jungen Schauspielers und Theaterregisseurs Alex Jünemann, der nach der Lesung einiger frech-kritischer Gedichte in die Fänge der Stasi gerät und ein Jahr lang durch die Hölle von Haft-Schikanen, endlosen Befragungen, haltlosen Unterstellungen, Drohungen, sinnlosem Warten, Unsicherheit und Isolation geht. Alltag in einem Unrechtsstaat.
Es ist ein Schauspiel, das sich vor gut einem Vierteljahrhundert tatsächlich an diesem Ort abgespielt hat. Denn mit „Hafthaus“ hat Regisseur Hans-Joachim Frank das Erinnerungsbuch des Potsdamer Regisseurs und früheren Intendanten des Hans Otto Theaters, Ralf-Günter Krolkiewicz, auf die Bühne gebracht. „Hafthaus – Ein Bericht unter Verwendung authentischer Briefe“ hat Krolkiewicz sein Buch aus dem Jahr 2003 genannt. Jünemann ist darin sein Alter Ego. Neben den Erinnerungen an die Haftzeit vom 9. Juli 1984 bis zum 10. Juli 1985 in der Potsdamer Lindenstraße und danach in Cottbus dokumentiert Krolkiewicz darin den Briefwechsel mit seiner Freundin.
Es ist ein distanzierter, analytischer und nüchterner Text, aus dem trotzdem all der Hass und die Liebe, die nachträglichen Zweifel und die Verzweiflung, die Krolkiewicz bis zu seinem verfrühten Tod im Jahr 2008 begleitet haben, sprechen.
Mit rückblickender Distanz erzählt auch Hauptdarsteller Matthias Zahlbaum auf der Bühne die Ereignisse, ein gebeugter, gebrochener Riese. Wer Krolkiewicz noch erlebt hat, fühlt sich in Zahlbaums Mimik und Gestik an ihn erinnert. Seine Geschichte, so scheint es, hat er unzählige Male im Kopf gewälzt und von allen Seiten nach einem Sinn befragt. Vor dem Publikum als Zeugen berichtet er sie nun noch einmal, pedantisch genau, hochkonzentriert. Dabei redet er sich immer wieder in Rage, vorwärts stürmend, Schlag auf Schlag.
Zeit zum Aufatmen bleibt da kaum. Katrin Schwingel als zerbrechlich-verspielte Nina – bei der Inhaftierung ihres Freundes ist sie keine 20 Jahre alt – versucht ihre Verzweiflung über die erzwungene Trennung im Tanz abzuschütteln. Johannes Achtelik und Bernhard Geffke als tumb-ungerührte Vertreter des Unrechtsstaates und Stasi-Marionetten illustrieren das Drama erschreckend realistisch. Das Bühnenbild von Anne-Kathrin Hendel beschränkt sich auf das Nötigste: ein schwarzes Podest als Pritsche, dazu ein quadratischer Tisch, Schemel, Stuhl, Papierkorb skizzieren die Szenerie, die vor dem Hintergrund der vergitterten Glasstein-Fenster in der Lindenstraße nur zu präsent ist.
Besonders bewegend ist der Auftritt von Horst Westphal, bekannt aus dem Andreas-Dresen-Film „Wolke 9“. In „Hafthaus“ spielt er einen verwirrt-cholerischen Zellgenossen, dessen Inneres genauso abgewrackt ist wie seine äußere Erscheinung. Trotzdem wird der pensionierte NVA-Oberstleutnant und überzeugte Zyniker für Jünemann zu einer Art Freund in der Hafthaus-Hölle. Urplötzlich können die Tobsuchtsanfälle des gestrauchelten Militärs in ein konspiratives Grinsen umschlagen. „Kennen Sie den?“, fragt er dann und gibt einen Honecker-Witz zum Besten, der noch dem heutigen Publikum ein befreiendes Lachen entlockt.
Dass der Theaterabend mitnimmt und nachklingt, ist im Innenhof des „Lindenhotels“ in vielen Gesichtern zu lesen. Der Applaus in der hereingebrochenen Herbstnacht ist herzlich und anhaltend.
Nächste Vorstellung am Donnerstag, 9. September, um 19 Uhr, Lindenstraße 54/55
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