Kultur: Eine leichtfüßige Carmen
Nora Raetsch und Christian Näthe bezwangen mit ihren Puppen humorvoll einen großen Theaterstoff
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Nora Raetsch und Christian Näthe bezwangen mit ihren Puppen humorvoll einen großen Theaterstoff Von Heidi Jäger Die Stettiner Opern-Inszenierung „Carmen“ Ende August im Buga-Park musste wegen zu geringer Nachfrage abgesagt werden. Macht nicht“s, werden vielleicht jene sagen, die am Dienstagabend der Potsdamer Erzählfassung des berühmten Theaterstoffes beiwohnten – und sich anderthalb Stunden köstlich amüsierten. Zwar gab es unter dem eng besetzten blauen Rund des Kultur-Camper-Zeltes keine opulente Bühnenfassung mit großen Arien zu erleben, aber gerade die schlanke Puppentheater-Version erwies sich als sehr leichtfüßig, unterhaltsam und trotzdem anspruchsvoll. Keine schicksalsschwere Dramatik mit tränenrührigem Finale bestimmte diese Inszenierung Nikki Bernsteins. In ihrer Interpretation frei nach der Novelle von Prosper Mérimée, gespickt mit Zitaten aus dem Libretto von Meilhac und Halévy, siegte die Kurzweil: das augenzwinkernde Buhlen der Leidenschaften und Temperamente, das am Ende so blutig endet. Dieser Tragik gab die Aufführung durchaus auch ihren Raum, ohne sie aber bis zur bitteren Neige auszukosten. Der Regisseurin standen für ihre Arbeit die zwei jungen, ausdrucksstarken Spieler Nora Raetsch und Christian Näthe zur Seite, die sich – sinnträchtig verschmolzen mit ihren lebensgroßen Puppen – behend in verschiedene Charaktere verwandelten und für eine vielfarbige Aufführung sorgten. Am Anfang kommen sie als Polizistengespann ganz geheimnisvoll im Taschenlampenlicht und zu den atmosphärischen Gitarrenklängen von Antje Volkmann angeschlichen. Sie sind ein eingespieltes Team, das scheinbar nicht nur die Liebe zum Beruf und die Trompetenproben für Saragossa verbindet. Allerdings hat der mit einer gehörigen Portion Schwejkschem Humor daher kommende Zuniga wohl ein stärkeres Auge auf seine Kollegin geworfen, als diese auf ihn – den etwas einfältigen und eitlen Chef. Juanita bekommt indes schlotterweiche Knie, wenn José, der schmucke Leutnant, in ihrer Nähe auftaucht. Aber wie das Leben so spielt: José hat nur Carmen im Sinn, die eigensinnige, stolze Zigeunerin. Geschickt weiß diese, den diensteifrigen Soldaten dank ihrer weiblichen Reize um den Finger zu wickeln – und damit ihren eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Sie schenkt ihm die Blume ihres Herzens, und schon ist es um José geschehen. Allerdings auch um seine militärische Disziplin und schließlich gar um seinen Job. Da hat am Ende der verwegene Torero Escamillo ein leichtes Spiel. Salopp und mit einnehmendem Wesen kommt er machomäßig daher. Carmen lässt sich indes blenden. Für sie ist er ein richtiger Mann: stark und unkompliziert, einer, der weiß, was er will. Escamillo würde niemals die Arena verlassen – hält sie José verletzend entgegen. Der steht am Ende vor dem Nichts: ohne Job, ohne seine Carmen. Christian Näthe verleiht auch diesem Großprotz markante Züge – und hat die Lacher wiederum auf seiner Seite. Das Ende ist vorprogrammiert und bekannt: In blutdurchtränkter Erde liegt nicht nur der getötete Stier, sondern auch Carmen – das aus Eifersucht erstochene, so lebenshungrige Vollblutweib. Für die Kampfszene von Escamillo und dem Stier ersann das kleine Team ein wirkungsvoll-drastisches Gleichnis: Sie ließen ein Messer auf eine Orange los, das sich am Ende mitten in das weiche Fruchtfleisch hineinbohrt, und den Saft gehörig tropfen lässt. Ein recht makabres Spiel. Die als Kooperation von der Abteilung Puppenspiel der Ernst Busch-Hochschule Berlin und des Offenen Kunstvereins Potsdam entstandene Produktion führt diese Tragödie am Ende wieder in die gemütliche Polizeistube zurück. Dort gibt es enttäuschte Gesichter: über den vierten Platz beim Musikfestival in Saragossa. Die Trompeten fanden nicht den rechten Ton. Also auf ein Neues: Im nächsten Jahr in Saragossa.
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