Kultur: Eine lyrische Irrfahrt
„Odysseus“-Oratorium von Bruch im Nikolaisaal
Stand:
In Potsdam ist Max Bruchs „Odysseus“ nach 1945 nicht erklungen. Nach seiner Uraufführung im Jahre 1874 wurde das Oratorium, eines der Lieblingswerke von Chorvereinigungen, ab Mitte der zwanziger Jahre nicht mehr aufgeführt. Bruch galt mit seiner Musik als konservativ. Er wartete mit zu wenig avancierter Harmonik auf, lehnte alles ab, was nach Wagner oder Liszt roch. Nun haben sich die Singakademie Potsdam und ihr künstlerischer Leiter, Thomas Hennig, dem Werk angenommen. Mutig und zugleich erfreulich war die Entscheidung. Mit ihm hat der Chor seinem weit gespannten Programm eine farbige Facette hinzugefügt. Doch leider mieden am Sonntag so manche der sich musikinteressiert gebenden Potsdamer den Nikolaisaal. Oder lag es an der Auszählung der Bundestagswahlen?
Bruch nahm sich einer Geschichte an, die einst zum Bildungsgut der Deutschen gehörte. Der griechische Dichter Homer (um 750 vor Chr.) schrieb sie auf: Der Trojanische Krieg ist beendet. Über das Ägäische Meer reisen die siegreichen Griechen ins heimische Hellas zurück. Kriegsheld Odysseus, Herrscher über das Inselreich Ithaka, muss den Peloponnes umsegeln, um in sein Heimatland zu gelangen. Doch an der Südspitze Griechenlands überrascht ein Sturm die Heimkehrer-Flotte. Die Schiffe des Odysseus’ werden ins offene Mittelmeer hinausgetrieben. Für den sagenhaften Ithaka-König beginnt eine jahrelange Irrfahrt.
Bei Max Bruch klingt die dramatische Schiffsreise zumeist lyrisch, es gibt nur selten emotional hochfahrende Momente. Melancholisches, Pathetisches findet man, zu viele Tonwiederholungen und Dreiklangbrechungen, satte Klangfarben, die jedoch nicht unelegant sind. Man spürte, dass Hennig sich intensiv mit dem Werk beschäftigte, sodass präzise und versiert sein Dirigat ausfiel. Er hat ein feines Ohr für den schönen Klang und den Wohllaut in Hinsicht auf das harmonische wie instrumentale Element. Die Singakademie mit ihrem Kinderchor (Einstudierung: Konstanze Lübeck) und vor allem dem Jugendchor (Einstudierung: Astrid Raab) waren für die Wiedergabe gut vorbereitet und versuchten den Intentionen Hennigs zu entsprechen. Der Klang war weich und warm, doch für den zumeist langen, ruhigen Fluss der Musik fehlte dem Chor dann doch die nötige Spannkraft. Intonationstrübungen blieben nicht aus. Die geschickt geführten und wohlwollend folgenden Brandenburger Symphoniker scheuten sich nicht, den dicken romantisierten Klangteppich auszurollen. Geschmacklich war die Grenze nicht erreicht, doch manchmal hätte weniger Lautstärke, denen der Chor nicht gewachsen war, gut getan.
Solistisch wartet das Oratorium in großer Besetzung auf. Im Mittelpunkt: Odysseus, seine auf ihn wartende und sich gegen Anfechtungen wehrende Frau Penelope sowie die Prinzessin Nausikaa, die dem Helden auf der abenteuerlichen Reise hilft. Thomas Wittig konnte für die Titelpartie einen kraftvoll-wohltönenden Bariton einsetzen. Viele differenzierte Ausdrucksmöglichkeiten standen ihm zur Verfügung. Der Sänger und die Sopranistin Christine Wolff, die die Mezzo-Rolle der Penelope sang, sorgten für Sternstunden in puncto der Gestaltungskraft. Den erschütternden Klagegesang brachte die Sängerin mit großer Inbrunst über die Rampe. Doch die fehlende Tiefe im Wiedersehens-Gesang mit Odysseus war nicht zu überhören. Mezzo-Partien sollten für Christine Wolff nur kurze Ausflüge bleiben. Julia Halfar sang mit schimmerndem, lieblichem Sopranglanz die Prinzessin Nausikaa. Die nicht minder wichtigen kleinen Partien waren leider nicht optimal besetzt. Nach dem prachtvoll dargebotenen Schlusschor gab es herzlichen Beifall für alle Beteiligten. Klaus Büstrin
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