
© HL Böhme
„Der Besuch der alten Dame“ im Hans Otto Theater: Eine Milliarde für einen Kopf
Der Inszenierung von Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ im Hans Otto Theater fehlte der Biss.
Stand:
Potsdam - Güllen hat deutlich bessere Tage gesehen. Nun mangelt es an Geld, an Motivation der Einwohner. Sie selbst, wenn sie sich im Spiegel anschauen, haben ebenfalls an Glanz eingebüßt, grau sind sie geworden, dümpeln vor sich hin, wirken wie Greise. Es scheint, als ob sie sich selbst aufs Abstellgleis geschoben haben. Die Fernzüge fahren vorbei. Wer will schon das Kaff besuchen? Nur der Lehrer wird aktiv, zwar langsam, aber immerhin. „Ein herzliches Willkommen für Kläri“ bringt er mit Großbuchstaben an eine graue Wand an. Die Güllener sehen in ihrer einstigen Mitbewohnerin Klara Wäscher, die sich durch Heirat zur Milliardärin Claire Zachanassian gemausert hat, einen Lichtblick für sich und ihr heruntergekommenes Städtchen, das von Zerfall geprägt ist. Claire kommt mit dem Zug. In Güllen hat sie die Notbremse gezogen, um dort – nicht ohne Hintersinn – ihren Reichtum vorzuführen.
„Der Besuch der alten Dame“ nennt der Schweizer Dramatiker Friedrich Dürrenmatt sein wohl bekanntestes Theaterstück, das am 29. Januar 1956 in Zürich uraufgeführt wurde. In einem Interview hat er verkündet, dass ihm das Stück zu guten finanziellen Grundlagen verhalf. Die tragische Komödie gehört nach wie vor zu den Schätzen des deutschsprachigen Theaterrepertoires. Vor allem: Sie hat an Aktualität nicht verloren. Dürrenmatt hat den alten amoralischen Grundsatz zum Tenor des Stücks gemacht, dass man für Geld fast alles kaufen könne. In den 1990er-Jahren wurde es schon einmal auf die Bühne des Hans Otto Theaters gebracht, damals noch in der „Blechbüchse“ auf dem Alten Markt – ein Ort, der auch dringend des Geldes eines Großinvestors bedurfte. Christine Schorn spielte damals die Titelrolle. Nun wurde Niklas Ritter die Tragikomödie anvertraut, einem Regisseur, der am Potsdamer Theater bisher für so manches Stück inszenatorisch verantwortlich zeichnete. Waren die Ergebnisse nicht immer von durchweg überzeugender Präsenz, so sorgten sie doch stets für reichlich Gesprächsstoff. Sicherlich auch bei seiner Neuinszenierung von „Der Besuch der alten Dame“.
Der Schweizer Dichter hat sein Stück von zeitgenössischen Anspielungen frei gehalten. Heutige Regisseure gehen damit anders um. Sie bauen in Aufführungen beispielweise Stasi-Verwicklungen der Protagonisten ein (Dessau), andere nehmen die Heimattümelei der Bewohner aufs Korn (Stendal). Niklas Ritter geht damit jedoch sparsam um. So bekommt die Deutsche Bahn ihr Fett weg, denn dass Fernzüge in einer Welterbestadt nicht Station machen, ist auch für ihn ein Unding.
Der Regisseur lässt den „Besuch der alten Dame“ in einem abstrakten Einheitsbühnenbild von Alissa Kolbusch spielen. Stark abfallende Wände führen von der Plattform in einen schluchtartigen Bunker, in dem die Güllener sich eingerichtet haben. Damit wird nicht nur das Heruntergekommene der Einwohner verdeutlicht, auch ihre Unmenschlichkeit und moralische Verkommenheit. Denn sie lassen sich schließlich nach anfänglichen Protesten auf Claire Zachanassians Forderung ein: eine Milliarde für den Kopf von Alfred Ill. Der hat seine ehemalige Geliebte vor Jahrzehnten verlassen, das gemeinsame Kind Judith vor Gericht geleugnet. Klara, verarmt und entehrt, verlässt die Kleinstadt. Als willkommene Milliardärin kehrt sie wieder zurück und fordert von den Einwohnern Gerechtigkeit. Sie meint damit aber Rache. Die Güllener sind schließlich davon überzeugt, dass nur die Leiche Alfred Ills den Aufschwung der Stadt sichern kann. Korruption hoch drei.
So weit, so schlecht. Das Nachkriegsdrama, das im Hans Otto Theater zum Drama der Nachwendezeit wurde, wollte Dürrenmatt gern in Richtung antike Tragödie sehen. Die hat aber kaum Platz in der Inszenierung. Groteskes und augenzwinkernder Humor kommen zwar hier und da vor, aber sie sind in Niklas Ritters Inszenierung allzu bemüht und zeigen eine Tendenz zur Klamotte. Es wird vieles behauptet, die Entwicklung der Figuren ist kaum zu erkennen. Jede wird von vornherein in eine Schublade gesteckt. Zu selten kann man an der Geschichte der Hauptpersonen Anteil nehmen. Nur einmal ganz kurz, wenn Claire (Rita Feldmeier) und Alfred (Peter Pagel) sich treffen und Erinnerungen an gemeinsame Zeiten mit großer innerer Intensität austauschen.
Nebenschauplätze des Stückes werden in der Inszenierung aufgeplustert. So die grellen oratorienhaften Chorauftritte der Darsteller, bei der Jagd nach dem Schoßpanther der Zachanassian oder beim Finale, in dem sich die Güllener selbst auf die Schulter klopfen und dem angebrochenen Wohlstand – ihre Kleidung sieht nun ganz danach aus (Kostüme: Ines Burisch) – ein Hohelied singen. Auch die Fernsehübertragung des Claire-Besuchs in Güllen geriet zur übertriebenen Show. Hierbei wurde der Allrounder Jan Kersjes, der virtuos spielen, singen, komponieren kann und mit mehreren Instrumenten umzugehen versteht, zum Hauptdarsteller des Abends. Er wurde von dem Regisseur in den Vordergrund gedrängt, sodass die eigentlichen Protagonisten allzu oft aufs Nebengleis geschoben wurden. Fast schmerzhaft musste man dies bei Rita Feldmeier erleben. Ritter hat das großartige Können der Schauspielerin kaum genutzt. Zwar durfte sie in mondänen Kleidern thronen, doch die Gefährlichkeit, mit der die Milliarden-Dame die Fäden der Macht in der Hand hält, kam nicht zum Zuge. Als verletzte „Rachegöttin“ tritt sie nicht auf. Dazu wurde ihr wohl keine Chance gegeben. Leider nimmt man Peter Pagel nicht die Ängste ab, die er als Todeskandidat zu erleiden hat. Er bleibt allzu schicksalsergeben gegenüber der Ungerechtigkeit seiner Mitbewohner, sogar seiner Familie. Facettenreich spielt Jon-Kaare Koppe den schmierig-jovialen Bürgermeister, der nur das Geld von Claire im Kopf hat. Was man teilweise auch verstehen kann.
Das Publikum spendete den Darstellern und dem Inszenierungsteam langanhaltenden Applaus. Die folgenden Vorstellungen werden aber erst beweisen, ob die Inszenierung Bestand hat.
Weitere Vorstellungen am Samstag, 13. Februar um 19.30 Uhr, und Sonntag, 14. Februar, um 15 Uhr.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: