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Kultur: Eine Ode an das Leben

Requiem von Brahms beim Vocalise-Festival

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Johannes Brahms‘ „Ein deutsches Requiem“ ist ein großes Memento mori. Es erklang erstmals 1869 in Leipzig. Nichts ist hier von einer Dies-irae-donnernden Schreckensvision des jüngsten Tages zu hören, die dem Lebenden Furcht einjagen will, auch keine ewige Klage um den Verlust eines geliebten Menschen. In weiten Teilen ist es eine dem Mut aufhelfende Ode an das Leben mit viel lichtem Moll und hoffend traurigem Dur. Brahms hat das Requiem der Liturgie der Kirchen durch eine selbst vorgenommene Textauswahl aus der Luther-Bibel enthoben. Und doch ist es das Werk eines tief gläubigen Menschen. Im Laufe der Aufführungsgeschichte entwickelte sich das „Deutsche Requiem“ zu einem bedeutenden und beliebten chorsinfonischen Werk. Besonders für den Chor stellt es eine Herausforderung dar, steht er doch im Mittelpunkt. Der Neue Kammerchor Potsdam musizierte gemeinsam mit dem Neuen Kammerorchester Potsdam und den Solisten Esther Hilsberg, Sopran, und Raimund Nolte, Bariton, unter der Leitung von Ud Joffe die Requiem-Vertonung innerhalb des Vocalise-Festivals am Sonntag in der Erlöserkirche.

Trotz der Erhabenheit der Fugen und des bedrohlich wirkenden Trauermarsches hat das Werk intimen Charakter. Dies hob der Neue Kammerchor, der mit rund 40 Sängerinnen und Sängern arbeitet, bei der Aufführung besonders hervor. Dadurch klang die Musik in höchstem Maße kultiviert, der Chor gespannt, transparent und reaktionsschnell, wie man es bei Riesenensembles kaum erleben dürfte. Bereits im ersten Satz „Selig sind, die da Leid tragen“ war zu spüren, dass Joffe nicht weihevoll zelebrieren will, sondern gelassen und beschwingt singen lässt. Den zweiten Satz „Denn alles Fleisch ist wie Gras“, der sich oftmals als ein behäbiger Block dahin wälzt, nahm er im leichten Tempo eines entspannten Herzschlages. Dadurch wirkte der freundliche Mittelteil „So seid nun geduldig“ weniger aus dem Kontext tretend, als man ihn für gewöhnlich wahrnimmt. Jedes Wort war vom Chor zu verstehen. Nur dort, wo schon alles gesagt wurde und der ohnehin in den polyphonen Sätzen „Der Gerechten Seelen“ und „Herr, du bist würdig“ verschwindende Text bloß noch wiederholt wurde, ließ Ud Joffe das Wort zurücktreten. Dann erhob sich das Neue Kammerorchester über den Chor – ob mit Absicht, sei dahingestellt. Doch gut war, dass keiner der Sänger sich zum Forcieren genötigt sah und stets mit großer Natürlichkeit sang. Schlank, warm, konzentriert war das orchestrale Erscheinungsbild zur großen Geste befähigt und auch im feinen Strich zu Hause. Doch die Blechbläser hatten in dieser Aufführung Schwierigkeiten Balance mit der Kammerchorbesetzung zu halten.

Das Sopransolo „Ihr habt nun Traurigkeit“ im fünften Satz ist ein besonderer Prüfstein für jede Solistin und ein Höhepunkt des Werks. Esther Hilsberg hat mit klarer Höhe ihren Part gesungen, mit einem ergreifenden Ausdruck, der erwärmte. Der Bariton Raimund Nolte sang höchst kantabel vom Ende der Tage. Und mit einer eindrücklichen Prophetenstimme kündete der Sänger von der Verwandlung. In stiller Ergebenheit, in sanfter Abgeklärtheit klingt das Requiem mit „Selig sind die Toten“ schließlich aus. Ergriffen verharrten die Zuhörer, dann brach befreiender Jubel aus mit dem Dank an alle Mitwirkenden. Klaus Büstrin

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