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Kultur: Eine tragische Gestalt

Frank Lorenz Müller spricht über Friedrich III.

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Schon am Morgen des 15. Juni 1888 war Schloss Friedrichskron in Potsdam von Journalisten und Schaulustigen umlagert. Sie warteten auf Nachrichten über den sterbenden Kaiser. Als dann die Standarte über dem Palast auf Halbmast gesetzt wurde, besetzte sofort eine Schwadron Gardehusaren alle Zugangswege und riegelte das riesige Schlossgelände hermetisch ab. Nicht einmal Minister oder Ärzte durften das Gelände verlassen.

So beschreibt der Historiker Frank Lorenz Müller in seiner aktuellen Biografie den Tod des „99-Tage-Kaisers“ Friedrich III. vor 125 Jahren. Der Einsatz der Soldaten war keine Ehrbezeugung für den 1831 geborenen Monarchen, sondern ein Zeichen des Misstrauens seines Sohnes, des künftigen Kaisers Wilhelm II. Er fürchtete ein Komplott der liberalen Parteien und wollte verhindern, dass Dokumente und Tagebücher beiseite geschafft würden. An diesem Sonntag stellt Müller, Professor für Neuere Geschichte an der Universität St. Andrews in Schottland, seine Biografie in der Villa Quandt vor.

Nur 99 Tage – seit dem 9. März 1888 – konnte „unser Fritz“, wie er in der Öffentlichkeit liebevoll genannt wurde, das junge deutsche Kaiserreich regieren. Als er 56-jährig seinem Kehlkopfkrebs erlag, übernahm sein Sohn Wilhelm II. im Alter von 28 Jahren die Herrschaft. Was wäre gewesen, wenn? Hätte Friedrich III., der ewige Kronprinz, der deutschen Geschichte bei längerer Herrschaft eine andere Richtung geben können? Hätte der als „liberale Hoffnung“ geltende Hohenzoller, der mit Victoria, der Tochter der englischen Queen Victoria, verheiratet war, die Gesellschaft modernisieren, eine deutsch-englische Allianz schmieden und sogar den Ersten Weltkrieg abwenden können? Gerade vor dem Hintergrund der großspurigen Politik Kaiser Wilhelms II. lebte dieser Mythos auf.

Doch der Biograf meldet deutliche Zweifel an: Zwar zeigte Friedrich liberale Züge: So entließ er schnell den erzreaktionären preußischen Innenminister Robert von Puttkamer. So widersprach er als Kronprinz Otto von Bismarcks Versuch, die Pressefreiheit einzuschränken, und widersprach allen antisemitischen Tendenzen der Gesellschaft. Und er verfügte über enge Kontakte zu führenden freisinnigen Politikern, die Bismarck und seiner konservativen Umgebung ein Graus waren. Gleiches galt für seine Kontakte nach England, dem Mutterland des Liberalismus und des technischen Fortschritts.

Mit den Liberalen teilte Friedrich auch den Antikatholizismus. So bekundete er seine Feindschaft gegen „Jesuiten und Ultramontane“. Deutschland müsse von „Pfaffenherrschaft“ befreit werden. Die Abgeordneten der katholischen Zentrumspartei seien keine Deutschen, sondern Rom-hörige Fremde.

Den liberalen Tendenzen steht gegenüber, dass der Hohenzoller sich eng auf das Militär stützen wollte. Das allgemeine Wahlrecht lehnte Friedrich genauso ab wie die parlamentarische Monarchie. Auch seine hochtrabende Vorstellung von der Stellung des Kaisers stimmte mit demokratischen Hoffnungen keineswegs überein. Friedrich war widersprüchlich: Letztlich erwies sich seine Regierungszeit zu kurz, um ein Urteil zu fällen.

Müller zeichnet einen tragischen Herrscher. Durch die Langlebigkeit und das Misstrauen seines Vaters – Kaiser Wilhelm I. starb im Alter von 90 Jahren – und die Grabenkämpfe mit dem übermächtigen Bismarck wurde er politisch immer stärker zermürbt. Friedrich war eine schwankende, zuletzt einsame und verbitterte Persönlichkeit, die ihren Halt in der energischen, aber liebevollen englischen Ehefrau fand. Doch Victoria war verhasst: nicht nur bei den Konservativen, sondern auch bei ihrem Sohn Wilhelm II. Sie wurde verdächtigt, deutsche Interessen an den englischen Hof zu verraten.

In der Öffentlichkeit blieb Friedrich das sympathische Gesicht der Hohenzollern-Monarchie und der verklärte Kriegsheld der Einigungskriege gegen Österreich (1866) und Frankreich (1870/71). Müller zeigt, wie geschickt er sich der Medien bediente, um sich auch als volkstümlicher Familienvater zu inszenieren. Trotz des heftigen Vater-Sohn-Konflikts und trotz starker Distanz in politischen Fragen: Laut Müller war Friedrich III. in seiner Auffassung vom Kaisertum, seinem Medienverständnis und dem monarchisch-dynastischen Programm seinem ungeliebten Sohn Wilhelm II. erstaunlich nah. Christoph Arens

Frank Lorenz Müller liest am Sonntag, dem 9. Juni, um 11 Uhr in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, vor. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro

Christoph Arens

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