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Kultur: Eine West-Östliche Flöten-Vesper Sommermusik in der Friedenskirche Sanssouci

Es ist schon merkwürdig, wenn sich das Christentum, von Morgen kommend, zuerst des Abendlandes bemächtigt hat, jener Weltgegend, welche sich der untergehenden Sonne zuneigt, des Westens. Das spiegelt sich auch in der christlichen Liturgie wieder, bei Abendmahl und Vesper: Seit Urbeginn versammeln sich Gläubige in dieser Stunde zum gemeinsamen Gebet.

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Es ist schon merkwürdig, wenn sich das Christentum, von Morgen kommend, zuerst des Abendlandes bemächtigt hat, jener Weltgegend, welche sich der untergehenden Sonne zuneigt, des Westens. Das spiegelt sich auch in der christlichen Liturgie wieder, bei Abendmahl und Vesper: Seit Urbeginn versammeln sich Gläubige in dieser Stunde zum gemeinsamen Gebet. Dieser hohen Idee fühlte sich am Samstag auch die zweite Sommermusik in der Friedenskirche verpflichtet. Die Flötistin Renate Dörfel-Kelletat und Erdmute Kather (Cembalo, Gesang) luden zu einer musikalischen Vesper, welche sich in ihrer Struktur weitgehend an der tradierten Liturgie orientierte: Während die gesungenen Teile dieses Gottesdienstes durch Instrumentalstücke wiedergegeben wurden, trat an die Stelle des gesprochenen Wortes Gesang, jetzt freilich ex oriente, denn die in allen Blockflöten-Stimmen erfahrene Solistin hatte u.a. mit „Erhabner Gott, Du Einer, ohnegleichen" einen Text des persischen Mystikers Attar (um 1200) vertont und in den Ablauf des Abends integriert. Sie spielte auf acht verschiedenen Blockflöten, wie sie vornehmlich Renaissance und Barock verwendeten. Wer mochte, konnte diese Musik als Gottesdienst nehmen, wer nicht, der erlebte das zauberhafte, in weiten Teilen überzeugende Konzert zweier wohlbegnadeter Musikerinnen von mehr als bescheidenem Auftreten. Umrahmt wurde diese Liturgie von kurzen „Divisions" aus England, Variationen einer Instrumentalstimme über eine sich wiederholende Bassfigur, welche Erdmute Kather auf dem historisch getreuen Nachbau eines italienischen Cembalo aus dem 17. Jahrhundert gab, ein Donum ihres instrumentenbauenden Gatten. Freilich enthoben sich die eingangs gegebenen „Divisions" (anonym um 1706) noch eines harmonischen Zusammenspiels, Renate Dörfel-Kellekat“s Alt-Blockflöte konnte der allzu kraftvollen Bass-Stimme nicht viel entgegensetzen – vertauschte Rollen, das Begleitinstrument führte Tempi und Melodie. W. Friedemann Bach''s Choralbearbeitung „Christe, der du bist Tag und Licht" für Cembalo-Solo aber glich einem Wunder: Im Ton gedämpft, im Tempo verhalten, lag über diesem Spiel erhabene Schönheit und würdiger Glanz. Zur Darstellung des von der Flötistin im orientalischen Stil ornamentierten Hymnus „Laudent Deum omnes Creationes" (3. Jahrhundert) wandte sich dieselbe jetzt gen Westen, spielte ihren Teil, fast unter der endlich geöffneten Rosette, im Rücken der zahlreichen Besucher, das Echo der Kirche abwartend, bedachtsam, wunderbar. Von Bellinzani''s Folia-Variationen (Sonate d-Moll op. 3/12) abgesehen, wo die Begleitstimme ein letztes Mal über die barocke Altflöte hielt, war das konzertierende Miteinander der beiden Damen fortan perfekt, beim Gotteslob Johann Pachelbels (Choralvorspiel zu EG 300) für Tenorflöte und Cembalo nach Psalm 134 und einer Canzona von Tarquinio Merula; alles im Geiste der liturgischer Ordnung. Nun kam das Licht aus dem Osten, Re- nate Kellekat stellte Eigenkompositionen vor: Mit „Schatten“ ein ungeheuer eingehendes Stück für Baßflöte, langsam, sanft und rituell vorgetragen, danach die Vertonung einer Paradies-Sentenz des Türken Yunus Emre für Sopranflöte, ein Lob auf Allah, welches Erdmute Kather mit hohem Sopran (sie hat eine „liturgische Stimme") genauso intensiv interpretierte wie den erwähnte Part auf Attar. Respiratorisch wirkte „Nachhall", ein Wechselspiel der Solistinnen über die ganze Distanz dieser Kirche, zuerst für zwei Flöten, dann im Dialog mit dem Cembalo. Stark. Nach der liturgischen Ordnung folgten ein „Magnifikat" von Jacob van Eyck für Altflöte (Solo) und die „Vaterunser"-Vertonung von Dietrich Buxtehude am Cembalo, bevor ein von Renate Kellekat erdachtes „Division" diese west-östliche Begegnung – gleichsam „Vom Aufgang bis zum Niedergang" – mit großer Würde beschloss. Gerold Paul

Gerold Paul

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