Kultur: Einer, sonst keiner!
Zum 299. Geburtstag über Gefühle eines Königs
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Diesmal kam man umsonst herein. Wäre ja auch ungezogen gewesen, zum 299. des größten Königs in Potsdam auch noch Entree zu verlangen. Der Nikolaisaal war am Montag jedenfalls voll. Lauter kluge Leute, die selber hören wollten, was die Historikerin und Sozialwissenschaftlerin Ute Frevert über „Die Gefühle eines Königs“ zu sagen wusste.
Ging es in ihrem Buch „Ehrenmänner“ noch um die Kunst des Duellierens, so an diesem Abend um Streicheleinheiten, zugleich um eine Einstimmung auf das, was Potsdam und der Welt nächstes Jahr blühen wird, zum 300. Geburtstag des zweiten Friedrich von Preußen. Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor der Schlösser und Katen, verkündete ganz offen: „Wir wollen Friedrich neu sehen!“ Und bescheinigte „dem großen König“ nicht nur gleich große Leistungen, sondern auch Emotionen wie Freude, Trauer, Schmerz, Frust und Zorn. Schön, das mal zu hören, sonst waren ja immer nur Kälte, Rationalismus und Distanz im Gerede.
Für die Vortragende selbst, derzeit Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, kam die Einladung zum Vortrag zwar etwas überraschend, aber das Thema sei gut und die Gelegenheit günstig, „auszuprobieren, was bei großen Anlässen nicht so satisfaktionsfähig wäre“ – nämlich über das bei Historikern unbeliebte Wort „Gefühle“ zu reden. Sie tat es: im Geist des Soziologen Max Weber. Das sei gerade heute angemessen, wo Staat und Gesellschaft immer mehr emotionalisiert würden und sich Ähnlichkeiten zum „Zeitalter der Empfindsamkeit“ darin Friedrich II. lebte, ganz von selbst anböten. Freilich wollte sie nur über den Regenten und seine Regentschaft sprechen, sein Persönlichstes ließ sie weitgehend aus.
Nachdem sie Rousseau, Herder und Goethe zu Kronzeugen des Empfindsamen gemacht hatte, fragte Ute Frevert, was der Große Friedrich selbst von Gefühlen hielt „und wie er sich selbst sah“. Er liebte seine Schwester Wilhelmine, die Windhunde, sich, und setzte ansonsten, wie alle, Charme und Gefühle als Mittel der Politik ein. Angetreten war er ja einst mit dem Ideal, „jeden Untertanen vergnügt und glücklich zu machen“.
Dazu wurden 1740 in Berlin sogar die Brotmagazine geöffnet. Seinen „väterlich“ absolutistischen Führungsstil nie antasten lassend, suchte Friedrich den Ausgleich zu seinen Untertanen, erwartete von ihren „selbsttätigen Gehorsam“, wollte zugleich von ihnen geachtet, ja geliebt werden. Ein König „über Sklaven“ mochte er angeblich nicht sein, höchstens im Felde.
Inwieweit die „Hurras“ ganzer Straßenzüge bei Einholungen immer echt waren, ließ die Referentin offen. Dafür fand sie Beispiele, wie gewitzte Untertanen (die Zeit der „Bürger“ brach erst nach Fridericus an) sein Aufklärer-Ethos dazu benutzten, es von ihm selber einzufordern. Den anderen Part spielte das Volk, wie immer, freiwillig und selbst. Man jubelte, huldigte unaufgefordert, im vorauseilenden Gehorsam, aus echter Liebe zu einem Monarchen, welcher immer zuerst ein Großer Held im Kriege blieb. Letztlich, so Goethe, wirkte er auf alle Gemüter. Das Bild eines durch und durch menschlichen Königs war zu Ende gemalt. Man schloss mit den Worten „Der Übergang von väterlicher zu vaterländischer Regierung blieb späteren Zeiten vorbehalten“.
Hartmut Dorgerloh war gerührt und beglückt. „Sie haben uns einen Kompass gegeben!“, rief er aus. Hatte er bis dahin keinen? Jetzt könne man auch „Gefühle für einen König“ zeigen. Vorher nicht? Was bedeutete dieser Totentanz am Montag denn anderes als den Versuch, rasch mal wieder die Bilder auszuwechseln, einen erkanntermaßen harten Mann im Trend der Zeit zu vermenscheln? Und all seine Thron-Kollegen vor solch erstaunlicher Größe verblassen zu lassen. Einer, sonst keiner! Die Damen und Herren sind ja inzwischen geübt im Verklären der Geister von gestern.Gerold Paul
Gerold Paul
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