Potsdams Stadtschloss hinter Gittern: Einfach ein paar Stufen höher gehen
Über ein Gitter im Potsdam Museum ist eine bisweilen bizarre Debatte entbrannt – eine Annäherung.
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Etwas Schlimmes ist passiert in unserer Stadt. Ein Skandal, ein Frevel sondergleichen. Unser Stadtschloss, unser Heiligtum, gerade erst eröffnet, ist hinter Gitter verbannt worden. Allein das aufzuschreiben treibt einem vor Fassungslosigkeit die Tränen in die Augen. Man muss lesen, dass dieses dreiste Gitter einem den Blick auf den Alten Markt mit dem neuen Landtag, also das Stadtschloss, verstellt. Nicht einfach nur verstellt, sondern flächendeckend verstellt. Gar von einem Panoramablick, der keiner sein kann, ist die Rede. Dazu gibt es dann auch entsprechende Fotos mit Gitter und Stadtschloss dahinter. Wirklich grausam.
Ja, wer macht denn so etwas? Wie kann denn so etwas sein? Wie kann man das denn dulden? Und schon will man in seiner grenzenlosen Verzweiflung auf die Knie sinken, die Händen gen Himmel recken und flehentlich rufen: Herr! So hilf! – doch dann meldet sich eine Stimme im Hinterkopf und sagt: Moment mal bitte!
Ja, Moment mal bitte, um was geht es hier eigentlich? Um ein Gitter im Potsdam Museum, genauer gesagt im Treppenhaus, dessen Fensterfront zum Alten Markt zeigt. Entworfen hat dieses Gitter der Architekt Reiner Becker, der das Gebäude für das Potsdam Museum am Alten Markt umgebaut und saniert hat. Diese Gitterkonstruktion hat zuerst einmal eine Schutzfunktion. Natürlich lässt sich über dieses Gitter hinsichtlich ästhetischer Gesichtspunkte streiten. Unbedingt zu klären ist auch, inwieweit der Architekt Becker bei der Gitterkonstruktion eigenmächtig gehandelt haben soll, wie in den vergangenen Wochen immer wieder behauptet wurde. Sollte er sich wirklich über Abspracheregelungen und Informationspflichten hinweggesetzt haben, muss das Konsequenzen haben. Ihren Höhepunkt erlebte diese bizarre Debatte aber dann in der vergangenen Woche im Kulturausschuss, als aus einem vertraulichen Gespräch mit Becker zitiert wurde, in dem dieser sich als Gegner des Stadtschlosses bekannt und den Schlossarchitekten Peter Kulka als „Verräter an seiner Zunft“ bezeichnet haben soll. Und schwupp, schon ist dieses Gitter zu einem „künstlerisch-provokativen Kommentar zum Wiederaufbau des Stadtschlosses“ geworden. Wirklich viel Ehre für so einen Haufen Eisen.
Nun stellt sich natürlich die Frage, warum der Architekt seinen „künstlerisch-provokativen Kommentar“ nicht über die gesamte Fensterfront gezogen, besser gesagt, vergittert hat. Hat er doch, werden jetzt diejenigen rufen, die in den vergangenen Monaten in den Medien die Berichterstattung zum Thema genau verfolgt haben. Denn da war und ist ja immer wieder zu lesen, dass der freie Blick des freien Bürgers auf das Stadtschloss nicht einfach nur verdeckt, sondern flächendeckend verdeckt ist. Und dazu noch diese grausamen Bilder. Das muss ja wie im Gefängnis sein! Die reinste Käfighaltung! Was für eine Frechheit!
Aber ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht. Da empfiehlt sich immer der persönliche Besuch, um, wie es so schön heißt, sich selbst ein Bild zu machen. Wer dann das Treppenhaus betritt, das eigenwillige Käfigkonstrukt betrachtend, Stufe für Stufe nach oben schreitet und darüber nachdenkt, ob das Gitter nun schön ist oder nicht, ob es nun beseitigt werden muss oder nicht, der erlebt nach exakt 34 Stufen ein kleines Wunder. Man reibt sich die Augen, kneift sich mehrmals selbst und fragt sich, ob man jetzt vor lauter Gittergedankenmacherei, also vor lauter Gittern die Gitter nicht mehr sieht. Aber nein, hier, im Obergeschoss, gibt es keine Gitter. Hier hat der Besucher einen herrlichen Panoramablick auf das Stadtschloss. Hier kann jeder sozusagen flächendeckend Stadtschloss gucken. Und das ist ein wirklich schöner Ausblick auf den Alten Markt, das Fortunaportal, das Schloss und all das Drumherum. Eine herrliche Perspektive, leicht erhöht, eine gelungene Mischung aus Nähe und Distanz.
Aber warum dann nun das ganze Geschrei um den angeblich verstellten Blick auf den neuen Landtag durch das Treppengitter? Haben sich die meisten hier nur auf die Fotos bezogen? Hat beim Besuch des Potsdam Museums die Puste nur für die ersten Stufen gereicht und wurde daher der vergitterte Blick vom Treppenabsatz als der große Skandal erkannt? Oder wussten die Gittergegner einfach nicht, dass dieses Haus noch etwas höher ist und nicht schon am ersten Treppenabsatz – wohlgemerkt im Gitterbereich – endet? Aber warum hat der angebliche Stadtschlossgegner Reiner Becker diesen herrlichen Panoramablick im Obergeschoss geduldet und nicht, wie im Treppenbereich, „künstlerisch-provokativen Kommentar“ vergittert? Hat das Geld nicht für mehr Eisenstangen gereicht? Und dann, wie vom Blitz getroffen, durchschaut man das perfide Spiel.
Auch wenn die imposante, einige Meter im Quadrat messende Fensterfront im Obergeschoss des Eingangsbereichs einen Panoramablick suggeriert, so ist er es doch nicht. Auch hier ist vergittert worden. Natürlich nicht so offensichtlich wie im Treppenhaus. Aber der wirklich kritische Geist lässt sich nicht so leicht irreführen. Und einmal erkannt, lässt sich das Gitter nicht mehr leugnen. Es gibt sich zwar gut getarnt als eine Art Sprossengebilde, doch Gitter bleibt Gitter. Und selbst hinter dem Treppengitter findet sich dieses Fenstergitter. Also eine doppelte Vergitterung des Stadtschlosses. Allein bei dem Gedanken wird einem schwindlig. Was für ein architektonischer Frevel wurde hier bloß begangen? Wie lange muss man diese Mehrfachvergitterung noch hinnehmen? Und wo bleiben die aufrechten Bürger dieser Stadt mit der Flex in der Hand, die diesem Elend ein Ende bereiten? Für einen freien Blick, so panoramamäßig und selbstverständlich flächendeckend.
Während man so in Gedanken im Obergeschoss steht und trotzdem den großzügig vergitterten Panoramablick auf den Alten Markt genießt, durchfährt einen der nächste Schreck. Denn das Potsdam Museum ist, was die Vergitterung des Stadtschlosses betrifft, nicht allein. Da genügt schon der Blick auf die Fachhochschule rechter Hand. Die Fensterfront der Mensa täuscht ja auch nur einen Panoramablick vor. Allein schon die Unterteilung der Fenster, diese doch nur billige Tarnung des offensichtlichen Gittergedankens. Und dann noch ganz offensichtlich von außen durch diese eigenwillige Steinarchitektur. Und was ist eigentlich mit den Fenstern im Hotel Mercure? Aus dieser Entfernung ist das zwar nicht genau zu sehen, aber mit Sicherheit ist da auch eine subtile Gitterverschwörung am Werk.
Weil wir gerade so schön dabei sind: Wie lange noch müssen wir das Gitter am Fortunaportal erdulden? Tagsüber ist es ja geöffnet, aber ab 20 Uhr und an den Wochenenden versperrt es uns gleich doppelt und flächendeckend den Blick in den Innenhof des Stadtschlosses. Wer hat das erlaubt? Ist das überhaupt abgesprochen? Wäre das nicht auch einmal ein Thema für den Kulturausschuss? Schließlich ist davon unser Grundrecht auf den freien Panoramablick betroffen. Aber vielleicht ist dieses Gitter am Fortunaportal auch ein „künstlerisch-provokativer Kommentar“. Aber worauf bloß?
Es ist wirklich schlimm, was hier in Potsdam passiert. Das muss doch wirklich jeden zutiefst ergittern – Entschuldigung – erschüttern.
Auch wenn der Autor dieses Textes und der betroffene Architekt auf den gleichen Nachnamen hören, sind sie weder verwandt noch befreundet
Dirk Becker
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