
© Andreas Klaer
Kultur: Einmal im Kontrabass sitzen
Die Ausstellung Naked im Pavillon auf der Freundschaftsinsel lässt Besucher Klänge neu erleben
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Für die neue Ausstellung des Brandenburgischen Kunstvereins wurde der Pavillon auf der Freundschaftsinsel vollständig leergeräumt. Zu sehen gibt es erst mal nichts, jedenfalls nicht das, was man in einer Ausstellung erwarten würde. Ganz nackig, also Naked, wie der vieldeutige Titel der Ausstellung lautet, steht das auf drei Seiten verglaste Gebäude aus den 70er-Jahren da. Dennoch lädt es zum Schauen und vor allem zum Hören ein. Wie Gerrit Gohlke, künstlerischer Leiter des Kunstvereins, bei der Eröffnung am Donnerstagabend erklärte, steht im Zentrum der Ausstellung die Veränderung der Wahrnehmung durch Klänge. Wenn der Besucher mit sich, der Architektur und dem Garten allein ist, kann er selbst bestimmen, wie viel Zeit er sich für das Erleben von Klängen und Geräuschen in dieser schönen Umgebung nehmen will. Dafür wählte Alexander Moosbrugger, Komponist und Kurator der Ausstellung, sechs höchst unterschiedliche Klangstücke aus. Sie verwenden ganz bewusst das Gebäude als Instrument, auch dann, wenn sie aus einer anderen Quelle stammen, wie die Studie über eine Passacaglia von Aldo Clementi. Das viertelstündige Werk des italienischen Komponisten aus der Avantgarde des letzten Jahrhunderts bietet mit sphärischen Klängen ein eindrucksvolles Exempel der Computermusik. Es ist ein klassisches Werk der elektronischen Musik, das nur in einer Aufnahme aus dem Teatro Lirico vom 3. Mai 1993 existiert. Im Pavillon auf der Freundschaftsinsel kann der ursprüngliche Klangraum gleich mitgehört werden. Dabei entsteht ein akustisches, simultanes Raum-im-Raum-Erlebnis.
Dagegen entwickelte Anke Eckardt ihre Installation Phantom Lines direkt aus dem Eindruck des Raums. Die gelernte Toningenieurin und bildende Künstlerin nahm die Geräusche von Rasensprengern, Passanten, Vögeln, menschlichen Stimmen im Garten der Freundschaftsinsel auf und lässt sie über Ultraschalllautsprecher erklingen. Diese vom Militär entwickelten Lautsprecher sollen eigentlich eine abschreckende Wirkung haben. Ihre Wirkung beruht auf der Erzeugung von schmalen Klangstrahlen, die von den Wänden zurückgegeben werden können. Natürlich kommen in der Ausstellung keine Originallautsprecher zum Einsatz, sondern Vorführmodelle, die die gebürtige Dresdnerin bei einem Aufenthalt in den USA auftreiben konnte. Dennoch zeigt sich die unterschwellige Bedrohung durch diese neue Art von Klangterror.
Nur bei der Eröffnung war das Stück splitting 33 von Michael Maierhof live zu hören. Dafür bespielte Caleb Salgado einen liegenden Kontrabass mit motorbetriebenen Sticks und einem Schallbecher aus Plastik im analogen Modus. Die Idee dabei ist, wie der Hamburger Komponist Maierhof erklärt, dass der Hörer quasi selbst im Kontrabass sitzt und zugleich die äußere Akustik mithören kann. Auch wenn es nicht um Tonhöhen als solche, sondern um das Schwingen von zwei verschiedenen Welten gehen soll, wurden die Saiten des Kontrabasses eigens auf einen e-Moll-Septakkord umgestimmt. Als kuriose Petitesse erweist sich das zweiminütige Stück „Der nagende Wurm“ („Tarlo che rode“) von Filippo Perocco. Obwohl nur aus einem einzigen Ton, einem etwas vertieften, dreigestrichenen a, bestehend, braucht man zum Spielen zwei Hände. Mit einer wird der hohe Ton sehr schnell hintereinander angeschlagen, während die zweite Glissandi auf der Saite des Cembalos erzeugt. Mikrofon und Midfield-Monitor ermöglichen dabei nuancierte Hörerfahrungen jenseits des üblicherweise Hörbaren.
Sinustöne sind in der Natur normalerweise nicht vorhanden und können nur technisch produziert werden. Von der besonderen Reinheit und Körperlosigkeit dieser Töne ist die Komponistin Chiyoko Szlavnics fasziniert. In ihrem Stück Interior Landscapes IIa (Innere Landschaften) verwebt die gebürtige Kanadierin, die seit Langem in Berlin lebt, 21 Sinustöne zu einem komplexen Klanggewebe. Zum Einsatz kommen dabei drei auf die Glasscheiben geklebte Schallwandler, die die Vibrationen der zarten, schimmernden Klänge übertragen. Wenn man an die Scheiben herantritt, verändert sich die Wahrnehmung sowohl akustisch als auch optisch – das Fenster wird quasi zu einem beweglichen Bild. Doch die subtile und sublime Komposition von Chiyoko Slavnics richtet den Blick nicht nur nach außen, sondern vor allem ins Innere. Wer sich darauf einlässt, kommt den Urgründen unserer Existenz näher. Denn nicht das Sehen, sondern das Hören ist die erste Weltwahrnehmung. Nicht das Auge, sondern das Ohr ist das älteste Organ des Menschen. Es liegt am Menschen, was er aus dieser Gabe macht. Allein schon, um darüber zu meditieren, lohnt sich der Besuch der anregenden Ausstellung Naked im Pavillon auf der Freundschaftsinsel.
Die Ausstellung läuft bis zum 10. Juli auf der Freundschaftsinsel: Ein zweites Livekonzert ist für das Wochenende vom 10. bis 12. Juni geplant.
Babette Kaiserkern
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