Kultur: Einsamkeit, Verlust, Begegnungen
Premiere von „Verloren und Gefunden“
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Eine Spur aus bunten Gummitieren zieht sich über den Gehweg und kurz blitzt die Frage auf, ob hier wohl ein Kind auf dem Weg ins T-Werk in der Eile seine Tasche nicht fest genug verschlossen hatte. Schließlich sollte an diesem Samstagabend das Theaterstück „Verloren und Gefunden“ seine Premiere feiern. Eine Premiere im doppeltem Sinne, denn die aus neun- und zwölfjährigen Jungen und Mädchen bestehende Kindertheatergruppe, die hier ihren Auftritt hat, hatte sich unter der Leitung von Erzählerin, Schauspielerin und Theaterpädagogin Suse Weiße erst im vergangenen November gegründet und zeigte nun vor sehr familiärem Publikum die erste gemeinsame Arbeit.
Die Spielleiterin, die ihre Vorliebe für die rauen Geschichten des Nordens einräumt, hat in diesem Sinne eine Bühnenfassung des 1988 mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichneten niederländischen Kinderbuches „Deesje macht das schon“ entworfen, in der Autor Joke van Leeuwen das Mädchen Deesje in die Stadt schickt, um dort die Halbtante zu besuchen. Deesje ist skeptisch und fühlt sich überfordert von der Reise allein im Zug und prompt läuft alles schief.
Die Tante ist nicht am Bahnhof, denn der Nachbarshund hat den Brief gefressen, in dem Deesjes genaue Ankunftsdaten stehen. Auch Deesje hat ein wenig Pech, denn sie verliert ihrerseits den Zettel mit Tantes Adresse. Und so gerät sie in ein Abenteuer aus Verwechslungen und Busfahrten, trifft verrückte und liebenswerte Menschen und landet schlussendlich sogar direkt vor der Fernsehkamera.
Das Ensemble, das die herausfordernde Aufgabe angenommen hatte, eine turbulente Geschichte voller Einsamkeit, Verwirrung, Verlust aber auch Begegnung zu erzählen, war schlicht und ergreifend hinreißend. Saßen die Jungschauspieler vor Beginn des Stückes noch aufgeregt flüsternd und umgeben von einer übervollen Kleiderstange und zahlreichen Requisiten an einer Bierzeltgarnitur am Bühnenrand, waren sie mit dem Verlöschen des Lichts wie ausgewechselt. Professionell und begeistert und unglaublich energiegeladen schlüpften sie in den nächsten 45 Minuten in die Rollen von Geesje und Deesje, Frau Mans, Herrn Paprika oder Zilli Zeh, managten das schlichte Bühnenbild, dass vor allem aus drei beweglichen schmalen Leinwänden bestand, schleppten Stühle und Koffer und schimpften, fragten, wunderten und rappten sich durch eine Geschichte mit beachtlichem Personal. Das hieß schnelle Rollen- und Kostümwechsel! Ein schöner Schachzug von Suse Weiße, alles so tranparent wie möglich zu halten und die Zuschauer an den Kostümwechseln teilhaben zu lassen.
Auch die Entscheidung, einige der Rollen doppelt oder dreifach zu besetzen, überzeugte. So wurde beispielsweise Geesjes Rolle zu gleichen Teilen von Alma Sprengel, Antonia Petrowa und Miriam Uhlig gespielt und zeigte ein Mädchen, das gleichzeitig mutig, verträumt, schüchtern und phantasievoll ist. Am Ende hätte es das mit „Applaus“ beschriebene Blatt Papier, das Pia Seifert den Zuschauern entgegen hält, gar nicht gebraucht. Der fiel donnernd aus und rief die Kinder mehrfach zurück auf die Bühne. Als sie dann schließlich doch in die hinteren Räume entlassen wurden, drang von dort ein Toben und Lachen in den Zuschauerraum, das Erleichterung und Freude gleichzeitig ausdrückte. Ein gelungener Start! Andrea Schneider
Andrea Schneider
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