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Von Klaus Büstrin: Ekel und Bewunderung

Tobias Wellemeyer inszenierte am Hans Otto Theater Molieres „Don Juan“

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Sganarelle stellt gleich zu Beginn seinen Herrn mit aller Deutlichkeit vor: „Don Juan ist das größte Schwein, das Gottes Erde je getragen hat.“ Die vielen Liebschaften bringen Don Juans Diener Sganarelle zur Verzweiflung, doch sein Herr ist stets bereit, die nächste Schöne zu erobern und zu verführen – eben ein Archetyp der Maßlosigkeit und Zügellosigkeit. Gesellschaftliche Konventionen missachtet er und von Gott will er nichts wissen, ja, er hat nur Spott für ihn übrig. Exzessiv ist sein Lebenswandel.

Den Abscheu erregenden Dreck, in dem Don Juan sich gern wühlt, wie ein Schwein lebt, andere Menschen in seine „Unterwelt“ mit hineinzieht, zeigt Tobias Wellemeyer in seiner Inszenierung „Don Juan oder Der steinerne Gast“ von Moliére (Übersetzung: Gabriele Groenewold) am Hans Otto Theater.

Diese Produktion hat der neue Intendant aus seiner Magdeburger Zeit – dort hatte das Stück großen Erfolg – mit nach Potsdam gebracht. Am Samstag feierte es im Haus am Tiefen See seine Premiere, in dem sich Ekel und Bewunderung die Waage hielten. Und so mischten sich in den Beifall Bravo- und Buhrufe.

Don Juan hat Elvira aus dem Kloster entführt, geheiratet und sie dann verlassen. Unter der Devise „der Liebe wahres Glück liegt nur im Wechsel“ verspricht er zwei Fischverkäuferinnen die Ehe und ermordet in Sevilla den Komtur, der die Ehre seiner Tochter vor ihm schützen will. Don Juan genießt die Verführung, leugnet jegliche Moral und heuchelt Reue, wenn es ihm nützlich erscheint. Der steinerne Komtur, den er aus Hochmut zum Gastmahl lädt, zieht ihn in die Tiefe, in die Unterwelt, vor allem aus Rache für die gestörte Totenruhe auf dem Friedhof.

Sganarelle, sein loyaler und zumeist ängstlicher Diener, stellt am Ende des Stückes fest, dass die Ehre der Frauen zwar gerächt und der Himmel versöhnt ist, aber er ist um seinen Lohn betrogen. Doch selig ist er schließlich, als ihm am Ende der Himmel seine geliebte Ziehharmonika zurückgibt.

Tobias Wellemeyer lässt seinen Don Juan vor der Stadt spielen, in einem verdreckten und doch mit prallem Leben bedachten Hafenviertel (Bühnenbild: Iris Kraft), das auch viel Memento-mori-Düsternis aufweist. Hier hat er sein Domizil aufgeschlagen. Seine vornehm-adlige Herkunft vergessend, „empfängt“ er Schuldner und Rächer, hurt und verführt. Die Situationen werden ausgespielt, nicht überspielt und immer wieder mit überbordenden Überhöhungen und klamottigen Szenen, auch mit manch symbolischen Aufladungen bedacht.

Wolfgang Vogler gibt dem Genussleben frönenden mörderischen Egoisten als Barockmenschen voll Kraft, vielen Facetten und federnder Elastizität als ein großes unreifes Kind, verschlagen, auch mal bockig, nur seinem Eigennutz verpflichtet, in seinen „unartigen“ Taten nicht zu bremsen. Nur kurz vor Schluss, wenn Einsamkeit ihn umgibt, beginnt er nachzudenken, um aber schnell sich dem bisherigen Leben wieder zuzuwenden. Ein Mensch – um im Bilde der Inszenierung zu bleiben – zum Kotzen.

Feine Kammermusikkomik ist in dieser Darstellung nicht ausfindig zu machen, sondern ein Spiel voller Derbheit umfängt den Zuschauer. Die sensibleren Töne werden von Camill Jammal angeschlagen. Er zeigt den Sganarelle ohne Diener-Drolligkeiten als tragische Figur, von fast feinsinnigem Charakter, musikalisch (er gibt Chansons zum Besten) und unterwürfig gegenüber seinem Herrn. Und dennoch erregen in ihm dessen Ausschweifungen Abscheu. Gern und aufrichtig redet Sganarelle von Moral doch er ist kein Moralapostel und riskiert durchaus auch mal eine Lippe. Und so mogelt er sich durch die Konflikte seines Herrn.

Wolfgang Vogler und Camill Jammal spielen ihre Rollen mit mitreißender Leidenschaft und vielseitigem Können. Um sie herum gruppiert sich eine große Darstellerriege, unter ihnen Franziska Melzer als Donna Elvira, Katharina Brankatschk als Fischermädchen Charlotte, Markus Kaloff als deren Liebhaber Pierrot, Michael Schrodt als Schuldeneintreiber Monsieur Dimanche, die ihren verschiedenen Rollen mit spielerischer Freude Pfeffer und Salz verpassen.

Den Schauspielern mutet Tobias Wellemeyer viel zu, auch dem Publikum. Fast ständig bewirft man sich mit Schmutz und Früchten, man fällt in den Schlamm, bespritzt sich mit Wasser. Und dabei kommt einem der Gedanke, schade um die wirkungsvollen Kostüme von Sabine Pommerening und bedauert die Ankleiderinnen, die bis zur nächsten Vorstellung alles wieder im Reinen haben müssen. Damit die Zuschauer der ersten drei Reihen trocken die Vorstellung überstehen können, gibt es für sie Regencapes. Auch ist in dieser Inszenierung besonders die Arbeit der Requisiteure zu bewundern, die alle Hände voll zu tun haben, dass die fast unübersehbaren beweglichen Gegenstände stets an Ort und Stelle liegen und stehen.

Die Inszenierung Tobias Wellemeyers wird polarisieren. Das darf Theater unbedingt. Die Aufführung ist in keinem Augenblick langweilig. Doch nach zweieinhalb Stunden war man des Ekels überdrüssig und freute sich auf die Höllenfahrt des Don Juan.

Nächste Vorstellung: 8. November, 19.30 Uhr.

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