Kultur: „Eleganz ist eine Haltung“
Andrej Hermlin über seine Liebe zum Swing, Tommy Dorsey und seinen Vater, den DDR-Schriftsteller Stephan Hermlin
Stand:
Herr Hermlin, Sie gelten als „King of Swing“, der akribisch den Sound der Swing-Ära rekonstruiert. Was fasziniert Sie an dieser Musik?
Zum einen natürlich die wunderbaren Kompositionen, auf denen diese Musik basiert, von Irving Berlin, Cole Porter, oder George Gershwin. Dann, da ich nun mal ein Fan der Bigband Musik bin, der beeindruckende Klang der großen Orchester jener Jahre. Und die Eleganz dieser Zeit, die sich in vielen Dingen widerspiegelt. In der Mode, der Architektur, dem Art Deco, bis hin zum Design jener Zeit.
Ihre Arbeit ist sicher mehr als die Beschäftigung mit einer heute eher unbekannteren musikalischen Epoche. Wie modern ist der Swing heute?
Ich glaube nicht, dass Swing so unbekannt ist. Im Gegenteil, es gab in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ein erhebliches Revival dieser Musik, bis hin zu Robbie Williams Swing-Platte vor drei Jahren. Ich mache amerikanische Musik, keine deutsche Musik. Dass diese amerikanische Musik von jungen Leuten in Deutschland während der Nazi-Zeit gehört wurde, auch als ein Ausdruck des Protests gegen die Vereinnahmung durch die HJ, das mag sein. Das ist für mich weniger relevant. Ich komme aus einer jüdischen Familie, da bin ich sowieso in einer besonderen Situation, was diese Dinge angeht. Aber ich mache amerikanischen Swing aus den 30er und 40er Jahren. Meine Vorbilder sind Bands wie die von Arty Shaw, Tommy Dorsey oder Benny Goodman. Es ist für jemanden wie mich oder meine Vorfahren natürlich die Musik der Befreier gewesen. Die amerikanische Armee kam mit dieser Musik nach Europa. Für mich geht es eigentlich nur darum, dass ich diese Musik liebe und dass ich sie wunderschön finde. Am wichtigsten ist für mich aber, dass wir viele Menschen für den Swing begeistern können.
Gibt es ein bestimmtes Lebensgefühl, ganz persönlich, das der Swing vermitteln kann? Sie sprachen die Eleganz jener Zeit an.
Eleganz ist sicher eine Haltung. Wie man sich gibt, wie man mit anderen Menschen umgeht. Natürlich gelten bestimmte Regeln, wie z. B. Höflichkeit gegenüber Frauen. Aber auch die Frage, wie man sich kleidet. Ich trage Kleidung, die nachgeschneidert ist nach Vorbildern jener Jahre, ich besitze Autos aus jener Zeit. Ich habe ein Haus, das entsprechend mit Art Deco Möbeln eingerichtet ist. Das mache ich einfach, weil es mir gefällt, weil ich mich wohlfühle, und weil es mir Spaß macht – nicht, um einer gewissen Erwartungshaltung zu genügen.
Im Nikolaisaal spielen Sie ein „Tribute To Tommy Dorsey“, der als Förderer von Frank Sinatra gilt. Was war er für ein Musiker und Mensch?
Frank Sinatra hat stets gesagt, dass die Zeit bei Tommy Dorsey außerordentlich wichtig gewesen ist für ihn. Vieles in seiner Gesangstechnik, z. B. seine Legatobögen, hat er sich von Tommy Dorseys Posaunenspiel abgeschaut. Dorsey galt als ein sehr guter Geschäftsmann, als ein sehr harter Bandleader, der auch gnadenlos sein konnte. Gleichzeitig als ein hervorragender Musiker, dessen Posaunenstil von vielen bewundert wurde. Er war auch ein sehr guter Jazzmusiker, gemeinsam mit seinem Bruder Jimmy. Und er führte in den 30er und 40er Jahre eine der erfolgreichsten amerikanischen Bigbands.
Der Sänger David Rose wird neben Bettina Hermlin am Mikrophon stehen. Was ist das Besondere an seiner Stimme und Performance?
Rose ist ein bemerkenswert junger Mann, der eine unglaubliche Kenntnis dieser Musik besitzt, eine größere noch als ich. Er kann 750 Lieder aus jener Zeit auswendig singen. Unglaublich, wirklich ein Verrückter. Vor allem aber: die Kenntnis ist das eine, aber die Fähigkeit, diese Musik zu interpretieren, ist etwas völlig anderes. Er kann das aber. Er hat eine Stimme, die natürlich an die Großen jener Zeit erinnert, und doch hat er einen eigenen, eher zurückgenommenen Stil. Wie der Sinatra aus den 40ern. Er ist der Typ des „Lonesome Lover“ derjenige, der eigentlich immer zurücksteht, aber das Mädchen hinterher doch immer bekommt. Er hat ein ungeheueres Gefühl für diese Musik. Ich habe bis heute so etwas nicht wieder gehört.
Die zweite Sängerin des Abend heißt Bettina Hermlin. Eine Verwandte?
Eine entfernte Verwandte, wenn man davon ausgeht, dass sie über lange Zeit meine Frau war (lacht). Wir sind enge Freunde geblieben, sie ist weiter Sängerin der Bigband und wir haben eine gemeinsame Tochter.
Sie sind der Sohn des bekannten Schriftstellers Stephan Hermlin. Stören Sie Fragen nach der Beziehung zu ihm und dem Einfluss Ihres Elternhauses auf Ihre eigene künstlerische Entwicklung?
Nein, sie stören mich ganz und gar nicht. Mein Vater ist sicherlich neben meiner Frau und meinen Kindern der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich bewundere ihn sehr. Er hat ein Leben gelebt, das in seiner Konsequenz in Deutschland relativ einzigartig ist. Aber er hat etwas ganz anderes gemacht als ich. Er verstand viel von Musik, aber er war Schriftsteller und ich bin Jazzmusiker.
Wie hat er Ihre Arbeit beeinflusst?
Sein Einfluss war eigentlich nur darin zu sehen, dass er diese fünf oder sechs Jazzplatten besaß, die mich infiziert haben. Bei uns wurde allerdings überwiegend Beethoven oder Hayden gehört. Mein Vater hat, das werde ich ihm nie vergessen, mir jede nur mögliche Freiheit gegeben. Er hat mir gemeinsam mit meiner Mutter das Gefühl gegeben, was auch immer ich tue, ob mit Erfolg oder ohne, ob ich hässlich oder schön, klug oder dumm bin, sie werden mich immer lieben. Ich denke jeden Tag an meinen Vater und ich vermisse ihn sehr. Ich freue mich über jede Frage, die ihn betrifft.
Das Gespräch führte Matthias Hassenpflug
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