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Kultur: Elegie auf ein totes Kino

„Jede Stadt bekommt die Kultur, die sie verdient“, hieß es in dieser Zeitung als vor etwas länger als zwei Jahren der alte Kinostandort in der Friedrich-Ebert-Straße wiederbelebt wurde. Damals war diese Feststellung von tiefer Skepsis gegenüber einem Vorhaben erfüllt, dessen finanziellen Nöte von Beginn an mindestens genauso enorm zu sein schienen wie der Enthusiasmus seiner Betreiber.

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„Jede Stadt bekommt die Kultur, die sie verdient“, hieß es in dieser Zeitung als vor etwas länger als zwei Jahren der alte Kinostandort in der Friedrich-Ebert-Straße wiederbelebt wurde. Damals war diese Feststellung von tiefer Skepsis gegenüber einem Vorhaben erfüllt, dessen finanziellen Nöte von Beginn an mindestens genauso enorm zu sein schienen wie der Enthusiasmus seiner Betreiber. Und tatsächlich: schon nach wenigen Monaten wurden die Zweifel an der Überlebensfähigkeit des Kinos bestätigt, als die unterhaltsame Meldung die Runde machte, einer der drei damaligen Betreiber soll sich mit der Kasse davon gemacht haben. Heute, nachdem am Samstag hunderte von treuen Freunden des Melodie die immer noch kargen Räume füllten und Menschentrauben bis auf die Straße diesem vielleicht merkwürdigsten Etablissements Potsdams ihre letzte Aufwartung machten, gilt das Diktum zwar immer noch. Doch nun weicht anfängliche Überheblichkeit einer gewissen Trauer. Das „Melo“ war bestimmt auch ein gutes Kino mitten in der Stadt, und auch sein Programm war tadellos, mal eckig, immer anspruchsvoll, und wurde dafür sogar im letzten Jahr mit dem Kinoprogrammpreis ausgezeichnet. Das „Melo“, und vor allem das dazu gehörende Café, war aber besonders ein Ort mit einer unbegreiflichen Seele und Aura. Ein soziologisches Phänomen. Sicher ist, dass die besondere Ausstrahlung nicht von der grindigen, immer provisorisch wirkenden Ausstattung oder gar wohlschmeckenden Getränken ausging. Im Winter zog ein eisiger Wind durch die Gaststube, während man meinte, am Tabakqualm zugrunde zu gehen, weil sich der Einbau einer funktionstüchtigen Belüftung zwar immer anzukündigen schien, aber, wie wir jetzt wissen, nie Realität werden sollte. Die zweifelhafte Qualität der Alkoholika war ein dankbares und wiederkehrendes Thema. „Melodie“ war ein neues Synonym für Kopfschmerz am Morgen, egal, ob „vin rouge“ oder Störtebecker-Bier nächtlicher Begleiter war. Besucher stellten die Hypothese auf, dass, hätte man sich nur frühzeitig für einen weniger rustikalen Rotwein im Ausschank entschieden, der Börsengang des Melodie nur eine Frage der Zeit gewesen wäre. Der spezielle Charme des Melodie zog eine für diese Verhältnisse erstaunlich unterschiedliche Schar Menschen an. Schüler und Weltverbesserer, Touristen und Normalos, Migranten und Schönheiten, jeden Abend schienen die Tische mit völlig anderen Gästen besetzt zu sein. Während woanders ein für Potsdam so typischer wie unverkennbar kleinstädtischer schöner Schein eines „Als-ob“ herrschte, waren hier wirkliche Typen zu finden. Das Leben selbst. Der Ort war authentisch, er war rauh, er verbarg weder Armut noch Alkoholismus, aber dafür entschädigte er mit dem Gefühl von „Stadt“: So wurde das Melodie zwangsläufig auch ein Treffpunkt für Künstler und alle, die sich dafür hielten. Dazwischen immer Katja, Bob, Kim, Franzi und Stiefel, die immer so bedienten, als arbeiteten sie auf ein unbekanntes aber heiliges Ziel hin. Sie und die anderen Kräfte beseelten das Melodie, ihr Fehler war vielleicht, nie Geld verdienen zu wollen. Sicher ist, dass Potsdam auf dem Weg zur Kulturhauptstadt einen zentralen Ort und ein beherztes Team für eine kontroverse, eigenständige und produktive Kultur verloren hat. Man musste die Lesungen, Konzerte und Filme gar nicht lieben um diesen herben Verlust zu erkennen. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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