Eine Mischung aus gern gehörten und wenig bekannten Werken bot das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) beim Auftakt der neuen Sinfoniekonzerte-Saison des Nikolaisaals. So mancher Zuschauerplatz blieb jedoch leer. Sicher weil so mancher Zuhörer vermutete, er würde an diesem Abend Musik vernehmen, die seinem Hörverständnis im Wege stehen würde und durch den Eindruck des Fremden irritiert werde. Mozart, Beethoven, Mendelssohn oder Schumann sollten vor allem im Konzert erklingen. Aber Benjamin Britten und Philip Glass? Obwohl diese beiden Komponisten längst zu den Klassikern der Moderne gehören und zum Teil zeitlos schöne Musik schrieben, hegt so mancher Konzertbesucher eine Abneigung gegenüber diesen Musikern. Auch noch vor dem Sinfoniekonzert war davon immer wieder zu hören. Doch diese Einstellung sollte sich im Laufe des Abends ändern. Nachdem die postromantische und groß besetzte „An American Ouverture“ des Briten Benjamin Britten mit Solidität musiziert wurde, war man schließlich von dem Violinkonzert des US-Amerikaners Philip Glass vollauf begeistert.
Glass gehörte bis Ende der achtziger Jahre in die Reihe von Komponisten, die sich der Minimal Music verschrieben haben, obwohl er sich solcher Kategorisierung nicht unbedingt anschließen wollte. Er beschritt schließlich musikalische Wege, die auch den Großeltern seines vorwiegend jungen und unkonventionellen Publikums gefällt. Das Violinkonzert ist ein Werk, das durchaus traditionelle Positionen aufweist. Doch es bleibt Minimal Music. Und sie wurde in der Wiedergabe des exzellent musizierenden polnischen Geigers Bartek Niziol und in der umsichtigen Partnerschaft des Staatsorchesters unter der Leitung von Howard Griffiths zu einem elektrisierenden Hörvergnügen, obwohl kompositorisch manches an der Oberfläche bleibt und kaum Raum für eine Interpretation gibt. Sie will es einer breiten Mitte recht machen und ist darin Ausdruck unserer Zeit. Die musikalische Umsetzung verlangt vom Solisten und von den Orchestermusikern großes Durchhaltevermögen und Konzentration bei der minutiösen Wiederholung der gleichförmigen Elemente bei gleichzeitiger Interpretation der sich verändernden Klangzellen. Das haben alle Mitwirkenden großartig absolviert.
Komplettiert wurde das Konzertprogramm mit Johannes Brahms‘ 1. Sinfonie c-Moll op. 68, einem Werk, das manches Mal schon als „totgespielt“ bezeichnet wird. Doch man sollte von Howard Griffiths eines Besseren belehrt werden. Dieser Brahms kam nie in die Gefahr, in die Untiefen des Schmalzsumpfes zu versinken. Der dynamische, flexible Klang des Staatsorchesters präsentiert einen unerbitterlichen und auch einen lyrischen Brahms, wie man ihn nicht alle Tage hört. Die Interpretation kommt ohne den romantisierenden Reiz des Pathos, der diesem Werk zweifelsohne innewohnt, aus. In klassischer Manier lieferten Griffiths und das Staatsorchester gerade im ersten Satz einen klaren, unpathetischen Einstieg in verhältnismäßig zügigem, aber noch angemessenem Tempo, was der Musik alle unnötige Schwere nahm, ohne dabei nach Geklimper zu klingen. Erfrischend wurde auch der „Rest“ dieser Sinfonie belebt. Die berühmte „Vokal“-Melodie des letzten Satzes erklang eher wie eine demütige Prozession eines Streichquartetts, der apotheotische Schluss wies keine Wagner’sche Stärke im Klangdickicht auf, sondern war schlüssig ausgelöste Freude, die sich daraufhin auch in dem lang anhaltenden Applaus des Publikums niederschlug. Klaus Büstrin
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