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Kultur: Elektro-Ikone

DJ-Set, Konzert und Lesung in der Biosphäre

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Schwül war es am Mittwochabend, die Temperaturen lagen um die 25 Grad Celcius, die hohe Luftfeuchtigkeit machte das Atmen anfangs schwer. Zumindest die Gewinner, die von Radio Eins in die Biosphäre Potsdam geschickt wurden, konnten der nasskalten Luft draußen entgehen. Die Alternative klang denkbar gut: „Gute Musik an unerhörten Orten“ – so der Titel der Veranstaltungsreihe des Radiosenders. Nun wurde also die Biosphäre zum Leben erweckt, denn abgesehen von der Musik der Insekten und Urwaldgeräuschen aus den Lautsprechern – von Radio Eins ist dieser Ort noch nie beschallt worden.

Jetzt sollte sogar Moby, die Elektro-Ikone schlechthin, die Platten zum Drehen bringen. Nach den beiden „dschungeligen“ Einstiegssongs „Welcome to the jungle“ von Guns''n''Roses und „The lion sleeps tonight“ schlurft Moby zu den beiden Moderatoren Anja Caspary und Stephan Karkowsky auf die Bühne. Nachdem sich der bekennende Bush-Gegner Moby freudig über den für ihn „glücklichen Tag für die USA“ ausgelassen hat, bekommen Caspary und Karkowsky keinen Schwung mehr in das Interview. Moby legt einige unveröffentlichte Stücke auf die Plattenteller, die so wahrscheinlich auch nie in den Handel kommen werden. Das Publikum bekommt zum Beispiel eine alternative Version von „Why does my heart feels so bad“ und eine Punk-Variante von „Porcelain“ zu hören, die er zusammen mit seiner Band im angeheiterten Zustand in einem Studio in Santiago de Chile aufgenommen hat. Wenn dann bei ruhigeren Stücken die Insekten im Hintergrund zirpen und es Moby von der Decke auf die Glatze tropft, dann kann man schon von außergewöhnlichen Momenten sprechen. Moby scheint nicht überaus euphorisiert zu sein. Während Publikum und Moderatoren-Doppel brav mitnicken, könnte man Moby einen Eimer Wasser auf den Kopf stellen, es würde nichts verschüttet werden. Nach einer Stunde legt er noch seine Hymne an den heimatlichen Großstadtdschungel „New York, New York“ auf und verschwindet noch bevor der erste Refrain ertönt.

David Nathan hat es da nicht so eilig. Die Synchronstimme von Johnny Depp liest einige Passagen aus „Das Dschungelbuch“. Mit impulsiver Stimme und mitreißender Betonung kann Nathan die Zuschauer in Kiplings Werk und mitten hinein in die Abenteuer Moglis entführen. Dazu werden exotische Früchte (nun gut: Bananen, Äpfel und Weintrauben) und wirklich exotische Snacks (fritierte Heuschrecken) gereicht. Mit einem derartigen Vitamin- und Proteinschub hält es einige beim darauf folgenden Mini-Konzert der Berliner Band Jahcoozi nicht weiter in den Korbstühlen. Ihr drückender Elektro-Dancehall und die extrovertierte Show ihrer Frontfrau Sasha Perera lässt Tanzbegeisterte aufspringen und die Leiber zu den ekstatischen Klängen schütteln. Das international besetzte Trio (Israel, Sri Lanka und Deutschland) bringt zum ersten Mal wirklich Schwung in den Dschungel. Perera schält sich im Laufe der Show aus ihrem Indiana-Jones-Kostüm und tanzt und singt elektrisierend auf der kleinen Bühne. Unterstützt von Anja Caspary geht David Nathan gegen Mitternacht ins packende Finale zwischen Mogli und Shir-Khan. Nach den letzten Seiten ist der Übergang nahtlos und hart: vom „Regenwald Potsdam“ in den Potsdamer Regen. Christoph Henkel

Christoph Henkel

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