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Kultur: Endlich eine Diva
Paraderolle für Bernd Geiling. Umjubelte Premiere des Musicals „ La Cage aux Folles“
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Ein Mann soll sich wie ein richtiger Mann bewegen. Wenigstens für ein paar Stunden. Das ist reine Übungssache. Beispielsweise: Kleine, tippelnde Schritte ersetzt man durch einen eckigen und ausholenden Gang, eingedrehte Beinstellungen wie bei Damen sind beim Sitzen nicht erlaubt, die Beine müssen breit ausgestellt werden. Und außerdem sollte die Stimme ganz natürlich klingen, nicht geschraubt. Eine schwere Arbeit für Georges, dem Besitzer des Nachtclubs „La Cage aux Folles“ in St. Tropez, der mit Albin alias Zaza, einem Travestiestar, liiert ist. Eine bürgerlich-biedere Fassade muss jedenfalls her, denn Georges’ Sohn Jean-Michel will die Tochter des erzkonservativen Politikers Dindon heiraten. Und der ist samt Gattin zum Antrittsbesuch in Anmarsch. Die maskulinen Übungen machen Albin zu schaffen, der sich wegen des guten Tons als Onkel Albert verkleiden soll. Doch der Erfolg ist nicht von Dauer. Albin lässt die neue Verwandtschaft zum Schein wissen, dass er die Mutter von Jean-Michel ist. Dazu verkleidet er sich. Doch als die Maske fällt, wird es dramatisch.
Die Krisengeschichte einer langjährigen homosexuellen Beziehung, eingebettet in das glamouröse Ambiente von aufgetakelten Transen, haben Jerry Hermann (Musik und Songtexte) und Harvey Fierstein (Buch) vor mehr als 30 Jahren als Musical „La Cage aux Folles“ vorgelegt. Am Freitag feierte es im Hans Otto Theater seine umjubelte Premiere. Es gehört wenig Vision dazu, diese Neuinszenierung als künftigen Publikumsrenner zu prognostizieren.
„La Cage“ ist ein Thema, das schnell ins Tuntige abgleiten könnte, doch davon kann in Potsdam keine Rede sein. Zwar stehen Show und Spaß an erster Stelle, es wird gefrotzelt und gelacht, doch die stillen und nachdenklichen Momente haben ihre Berechtigung, vor allem wenn zwischenmenschliche Beziehungen ins Visier genommen werden. Regisseur Ulrich Wiggers, der in der Inszenierung des Berliner Theater des Westens (1986) neben dem Musical-Star Helmut Baumann den Jean-Michel darstellte, setzte das Musical am Hans Otto Theater in Szene. Ihm gelingt eine wunderbare Balance zwischen Kitsch, Klischee und Konzentration auf das Wesentliche. Er vermag, in den richtigen Momenten Atempausen zu geben, zieht aber das Tempo unverzüglich wieder an und sorgt für eine tolle Unterhaltung. Eine bilderreiche Revue ist zu erleben, bei der die mitreißenden Tänze und die Musik die Hauptrolle spielen. Choreograf Friedrich Bührer lässt seine Tänzer als verzickte Girls frech und temporeich über die Bühne wirbeln. Und sie können sogar köstlich singen.
Die klassisch-nostalgische Show-Musik wird von einer sechsköpfigen Live-Band unter der Leitung von Ferdinand von Seebach unsichtbar hinter den Vorhängen gespielt. Den Darstellern gibt sie eine solide musikalische Grundlage, doch akustisch war das Ganze am Premierenabend nicht optimal. Hermans Musik klang, als ob sie aus einer blechernen Kanne kommt. Außerdem hätte man die Musiker wenigstens bei den Revuenummern direkt auf der Bühne erleben wollen. Aber vielleicht reichte das Geld für Musikerfracks nicht mehr, denn als Zaza die Herren der Band vorstellte, waren sie alles andere als revuefein angezogen. Ob die Kostümbildnerin Noelie Verdier einen Blick auf sie warf? Dafür sparte sie bei den Nachtklub-Darstellern nicht an glanzvollen Kostümen, nicht an Pailletten, Federboas und Spitzen, um der herrlichen Welt der schrillen Revue-Vögel Form und Farbe zu verleihen. Doch das Bühnenbild von Matthias Winkler verströmt nicht ganz den Glamour der Kostüme, trotz der rüschigen und funkelnden Vorhänge.
Eine Idealbesetzung gibt es mit Bernd Geiling als Albin/Zaza. Zwischen Würde und Spielwitz, Sentimentalität und Klamauk, echt liebevollen partnerschaftlichen Beziehungen und warmherzigen mütterlichen Gefühlen pendelt der Schauspieler großartig hin und her. Er kann zudem exzellent singen und tanzen. Bewundernswert, wie er mehr als zwei Stunden lang souverän mit den Damenschuhen über die Bühne stöckelt, als ob er nie andere Schuhe tragen würde. Er ist bis in die Fingerspitzen hinein eine Travestie-Diva und hat das Herz an dem richtigen Fleck. Mit großer emotionaler Intensität singt Geiling beispielsweise den Hit „Ich bin, wer ich bin“ und lädt zu nachdenklichen Momenten ein. Die eher lyrischen balladesken Songs werden von Raphael Rubino (Georges) gesungen. Stimmlich und auch darstellerisch konnte er aber nicht durchweg überzeugen. Es fehlte ihm noch an durchgebildetem Wohlklang. Zunächst näherte er sich der Rolle des schwulen Georges mit zu viel Distanz, nach der Pause gewann er mit mehr aktionsreichem Spiel seiner Figur ein paar mehr Facetten ab. Die Mitwirkenden um die beiden Protagonisten konnten ebenfalls überzeugen, so Dennis Herrmann als charmanter Georges-Sohn Jean-Michel und Anthony Kirby als im Spiel, Gesang und Tanz gleichermaßen wunderbar auftrumpfender Butler Jacob, der allzu gern eine Zofe sein möchte. Doch auch Michael Schrodt als schwulenfeindlicher Dindon, der letztendlich selbst als verkleidetes Tanzgirl auf der Bühne steht, und seine etwas verschroben wirkende Gattin (Ilka Sehnert) machen ihre Sache prima.
In dieser Inszenierung stimmt das Timing, die Szenen fließen, die Beine wirbeln, die Gags purzeln und die Augen zwinkern ohne Ende. Und hin und wieder darf auch eine Träne aus den Augen gewischt werden. Schon allein wegen der rührigen, doch nicht rührseligen Songs. Übrigens braucht zum Schluss Albin/Zaza nicht mehr breitbeinig Platz nehmen.
Wieder am 14. und 15. November um 19.30 Uhr und am 16. November um 17 Uhr im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse.
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