zum Hauptinhalt
Blixa Bargeld aka Christian Emmerich.

© dpa

Entführung in ein vergangenes Amerika: Blixa Bargeld und Sven Regener überzeugen im Nikolaisaal

In Potsdam traf am Freitagabend Cool Jazz auf Texte der Beat Generation. Vor ausverkauftem Haus wurde ein US-Trend der 50er-Jahre lebendig.

Von Andrea Lütkewitz

Hier schwarz gekleidete Menschen mit Hornbrille auf der Nase, dort welche mit toupierten Haaren im 80er-Jahre-Stil: So mancher im Publikum sah am Freitagabend im Nikolaisaal dem Sven Regener von heute und dem Blixa Bargeld der 80er-Jahre ziemlich ähnlich. Bargeld, bekannt als Sänger der Einstürzenden Neubauten, und Sven Regener, ebenso wie Richard Pappik und Ekki Busch, Musiker der Band Element of Crime, zogen ihre Fans an . Das Haus war ausverkauft.

Und das, obwohl die Veranstaltung mit der Musik von Element of Crime und den Neubauten dem ersten Anschein nach gar nichts zu tun hatte. Blixa Bargeld und Regener Pappik Busch luden ein zu „Literatur der Beat Generation trifft auf Cool-Jazz-Klassiker von Charlie Parker bis John Coltrane“. Cool Jazz, der in New York entstand, und die Texte der sogenannten Beat Generation prägten nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA den musikalisch-literarischen Sound der 50er-Jahre – und das war vor allem ein melancholischer.

Dementsprechend war auch die Stimmung. So gab es also doch eine Gemeinsamkeit zwischen der Veranstaltung und den beiden Bands. Regener Pappik Busch transportierten die Melancholie des Cool Jazz überzeugend. Die Musiker öffneten geradezu die Tür zu einer verrauchten Jazz-Bar im New York der 50er-Jahre und ließen das Publikum an ihrem seligen Versunkensein im Interpretieren von Songs der Jazz-Ikonen Ornette Coleman, Miles Davis oder Charly Parker teilhaben.

Sven Regeners Trompete legte sich gefühlvoll und nie zu laut zwischen Ekki Buschs fließendes Klavierspiel und Richard Pappiks Schlagzeug, das wiederum so klang, als hätten Snare und Becken gerade einem traurigen Gedicht gelauscht.

Sven Regener mit seiner Trompete (Archivbild).
Sven Regener mit seiner Trompete (Archivbild).

© Imago

Blixa Bargeld war für die traurigen Gedichte zuständig

Und die traurigen Gedichte, für die war Blixa Bargeld zuständig, der an einem alten Schreibtisch saß. Es fiel leicht, ihn sich in jener Zeit der Beat-Literatur vorzustellen, die als Gegenentwurf zum ängstlichen und repressiven Klima entstand, das durch den Kalten Krieg in den USA vorherrschte.

Blixa Bargeld, Sänger von „Einstürzende Neubauten“ (Archivfoto).
Blixa Bargeld, Sänger von „Einstürzende Neubauten“ (Archivfoto).

© Christian Charisius/dpa

Denn wer hätte mehr passende Attitüde dafür mitbringen können als der Sänger der Einstürzenden Neubauten, der sich wie seine Band nur schwer irgendwo einordnen lässt? Wer ihn schon einmal live erlebt hat, kennt Bargelds leicht spöttische, manchmal abweisende, dandyhafte Art, die sich mit ernsthafter Eindringlichkeit und Tiefgründigkeit abwechselt.

Und das passte gut zu den von ihm vorgetragenen Gedichten der Beat-Literaten Allen Ginsberg oder Michael McClure, die sich stets zwischen Sehnsucht nach einer besseren Welt und einer Unwohlsein auslösenden sprachlichen Direktheit und Gesellschaftsverachtung bewegen. „Ich sah die besten Köpfe meiner Generation vom Wahn zerstört / hungernd hysterisch nackt (…) / engelköpfige Hipster, dem alten himmlischen Kontakt zur Sternenlichtmaschine im Getriebe der Nacht entgegenfiebernd“, heißt es im Gedicht „Geheul“ von Ginsberg. Anderes, etwa wenn es um den Kalten Krieg ging, wirkte zwar gerade mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine auch aktuell sehr passend.

Doch am Ende ist den schwarz gekleideten Künstlern gelungen, was vermutlich beabsichtigt war: Einen Abend lang in ein Amerika zu entführen, das es nicht mehr gibt – und es paradoxerweise gerade dadurch wieder lebendig werden zu lassen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false