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Kultur: Entgrenzter Klang

Musikfestspiele: Fürst Pücklers Briefe und eine Oboe im Schloss Babelsberg

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Kurz hinter den großen Pflanzkübeln kippt die Freifläche des Schlosses hinab. Noch sitzen die Konzertgäste hier draußen, genau am Übergang zwischen Haus und Park, und nippen am Wein. Abendstimmung am Schloss Babelsberg, dessen grüne Einbettung Hermann Graf von Pückler-Muskau nach englischem Vorbild Mitte des 19. Jahrhunderts gestaltete. Das geschorene Gras geht ohne sichtbare Grenze ins Wasser über. Der schweifende Blick bleibt erst an der Glienicker Brücke hängen, und wird von ihr in die Ferne gezogen.

Grenzen zum Verschwinden zu bringen, das lag dem Schriftsteller, Abenteurer und genialen Gartenarchitekten Pückler. Aus dessen damaligen Bestseller „Briefe eines Verstorbenen“ las Moritz Führmann. Die Solo-Oboistin Susanne Hennicke spielte dazu Werke von Benjamin Britten, Jacob van Eyck und des Zeitgenossen Michael Berkeley.

Drinnen im Schloss auf dem Weg zum zweistöckigen neo-gotischen Tanzsaal, kam der Musikfestspielfreund an Fotos vorbei, die den aktuellen baulichen Zustand der ehemaligen Sommerresidenz Kaiser Wilhelm I. zeigten. Ähnlich desolat sah es wohl auch um die Finanzen Pücklers aus. Er ließ sich von Gattin Lucie „formal“ scheiden, um auf einer mehrjährigen Reise durch England eine reiche Erbin zu suchen.

Humor und Lebensfreude büßte der 1785 geborene Adelige bei all seinen Eskapaden nicht ein. Moritz Führmann holte hinter den mit französischen und englischen Modeworten gespickten Zeilen an seine Ex-Frau einen sehr neugierigen, allzeit wie ein Kind zum Staunen fähigen Fürsten hervor. Den Historismus, der auch das Babelsberger Schloss prägte, überzog er mit beißendem Spott. Diese Neo-Gotik bezeichnete der Fürst als oft „überladen“, „unzweckmäßig“, „geschmacklos“ und sogar „läppisch“. So ähnlich empfand das der Ton der Oboe, der zunächst zögerlich und zart im Raum stand. Er fand in dem mit einhundert Festivalgästen voll besetzten Achteck keine Möglichkeit zum Widerhall und großem Glanz.

Hatte Pückler nicht gerade geschrieben, dass in England hundert Tänzer in Räume gezwängt würden, in die ein deutscher Gastgeber höchstens zwölf zu bitten gewagt hätte? Moritz Führmann schickte einen bestätigenden Blick in den Raum, als hätte Pückler hier gerade sein Urteil gesprochen.

In diesem intimen Rahmen setzte Susanne Hennicke die Töne also wie präzise Nadelstiche, um die allegorischen Miniaturen Benjamin Brittens zu Ovids Metamorphosen bildlich werden zu lassen. Auch die zur Improvisation anregenden Stückchen vom Barockflötisten Jacob van Eyck und die drei „Stimmungen“ von Michael Berkeley wuchsen nicht räumlich. Sie setzen ihre präzisen Füßchen Schritt für Schritt durch die grenzenlosen Räume der inneren Meditation.

Pücklers Gartenkunst mag die Grenzen bis zum Horizont verschwinden lassen. Alleine die Musik, das bewies dieses kleine Konzert im Rahmen der Musikfestspiele, reicht noch darüber hinaus. Aber nach innen.Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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