Kultur: Entspannt und explosiv
Bei der Fête de la Musique konnte man sich vielen Stimmungen hingeben
Stand:
Für Konrad Kuechenmeister ist der Name Programm. In jeglicher Hinsicht. Ganz alleine „kocht“ er ein musikalisches Menü. Live eingespielte Rhythmen und Melodien von Stimme, Gitarre, Trommel, Melodika, Milchschäumer und alles, was sonst noch Töne macht, wirft der „Kuechenmeister“ in ein Effektgerät. Das erzeugt daraus eine Endlosschleife, über die der Musiker die nächste setzt. So entsteht der Sound einer ganzen Band, in dem er sich beliebig bewegen kann. Brasilianische Rhythmen sind Kuechenmeisters Vorliebe und so verlegt er am Samstag, zum Auftakt der Fête de la Musique, einen Teil der Brandenburgischen Straße an die Copacabana. Nach wenigen Stücken versammelt sich eine große Menschentraube um den elektronischen Alleinunterhalter. Die Neugierde zieht die Leute an und die schönen Klänge, von der rhythmischen Bassstimme bis zur tropfenden Trommel, hält die Zuschauer fest. Kuechenmeisters Musik wirkt neu, weil sie zwar stark auf elektronische Mittel setzt, aber doch organisch entsteht – vor den Augen und Ohren des Publikums.
Das Kulturleben bereichern, die Wertschätzung und den Stellenwert der Musik erhöhen, so die Ziele der Macher, die immer zum Sommeranfang die Fête de la Musique organisieren. Erstmalig fand sie 1982 in Paris statt, mittlerweile veranstalten 340 Städten weltweit den Tag der Musik, Potsdam bereits zum fünften Mal. Die Offenheit für alle Stilrichtungen ist ebenso ein Prinzip für die Fête, wie auch der Verzicht auf Einnahmen, sowohl für die Künstler als auch für die Veranstalter. Letzteres scheinen einige nicht mehr so ernst zu nehmen. Der Innenhof vom „Hafthorn“ ist mit Bänken und Tischen vollgestellt, an denen konsumiert werden muss. Ausweichmöglichkeiten für Kurzbesucher gibt es hier nicht. Das ist nicht im Sinne der Fête de la Musique, bei der sich auch alle Co-Organisatoren verpflichten, die Fete ohne Gewinnabsichten zu fördern und zu unterstützen.
Die Fête-Besucher versammeln sich ohnehin lieber auf der Straße. Die Passanten an der sonst so lauten Friedrich-Ebert-Straße verfangen sich in den leisen Tönen von „Vivian & Die Lebowskis“. Angekündigt unter dem Genre „Nujazz“ – hinter dem Unwissende etwas Wildes und Schräges vermuten konnten – macht Sängerin Vivian mit rotem Pünktchenhaarband und viel Kleinmädchenschwarm ganz anders auf sich aufmerksam: Mit sanfter Jazzstimme und gefühlsechten deutschen Texten um Liebe und Leid in Berlin und anderswo. Daran kommt niemand vorbei: Zunächst formt sich eine Menschentraube über die Gutenberg-, wenig später über die halbe Friedrich-Ebert-Straße. Gelassenheit macht sich breit.
Bewegender ist das Programm auf der Maxibühne. Authentisch gespielter RocknRoll mit viel Herzblut hallt durch den nördlichen Teil der Dortustraße. „Mystery Train“, „Blue Moon of Kentucky“, „Its allright my Mama“: Die Berliner Band „Rowenta Cash“ rollt mit Enthusiasmus, schmachtender Elvis-Stimme und zupfendem Standbass durch ihr Fifties-Repertoires, kann aber das spärliche Publikum nicht über ein wohlwollendes Mitwippen hinaus bewegen.
Das gelingt erst zu später Stunde der vielköpfigen und bunten Truppe „Casino Gitano“. Bis in die letzten Reihen bewegt sich die geballte Menschenmenge vor der Bühne, auf der musikalisch ausgelassen gefeiert wird. Casino Gitanos Musik ist eine wilde Mischung aus Flamenco, traditioneller Spanischer Folklore, Swing, Punk- und Pogoelementen und Chanson. Die selbsternannte Gypsie-Band spielt nicht nur einfach, sie feiert: Stiefel stampfen, Schlachtrufe ertönen, Röcke fliegen – alle Mitwirkenden feuern sich gegenseitig und das Publikum an. Musik kann jede Stimmung hervorbringen – das hat diese Fête de la Musique gezeigt.
Karsten Sawalski
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